Mozarts "Entführung" im Hubertussaal
Mozarts Singspiel ist in den letzten Jahren ein wenig zu Tode interpretiert worden. Regisseure wie Stefan Herheim trieben der "Entführung aus dem Serail" die Komödie aus und entdeckten das ganz große Beziehungsdrama, andere Aufführungen inszenierten den ganz großen "Clash of Civilisations" zwischen Orient und Okzident. Und auch musikalisch regierte vielfach ein Trend hin zur Opera seria im XXL-Format.
Die Kammeroper München hat die "Entführung aus dem Serail" nun gehörig entrümpelt. Die Bühne (Céleste Langrée) ist zuschauerfreundlich in die Mitte des Hubertussaals gerückt. Aber was sich darauf abspielt, wirkt auf weite Strecken mehr halbszenisch als wirklich inszeniert. Das kann man, je nach Gestimmtheit, langweilig finden oder als Konzentration auf das Wesentliche empfinden: auf Mozarts Musik.
Die erklingt in einer von Alexander Krampe raffiniert destillierten Kammerbesetzung. Die fehlenden Bassetthörner in der "Traurigkeit"-Arie werden geschickt durch eine Klangmischung aus Horn, Fagott und Klarinette kompensiert. Das sehr präsente Schlagzeug weitet den Kammer-Klang ins Orchestrale und erinnert - etwa eingangs mit einer Rahmentrommel - an das türkische Kolorit, das die Inszenierung und die Textfassung der Oper ausgetrieben haben.
Die Kürzungen bleiben moderat, allein das Sauf-Duett zwischen Osmin und Pedrillo fehlt ganz. Gesungen wird ungewöhnlich gut, und niemand tappt in die heikle Falle der Nähe zum Ohr des Hörers. Lars Tappert meistert die schwierigen Arien des Belmonte mit Geschmack und einem schönen Timbre. Leopold Bier hat die heldischen Reserven für die Streit-Arie des Pedrillo, die einen Tenorbuffo leicht an seine Grenzen bringt. Florentine Schumacher singt die Arien der Konstanze mit großer musikalischer Geste und einem Vibrato, das stärkerer Kontrolle bedürfte. Seoho Parks Blondchen emanzipiert sich szenisch wie musikalisch von der Soubrette. Nur der Osmin fällt etwas ab: Nicolas Ries verfügt zwar auch über die Töne in extremer Lage, aber von der Farbe her ist er ein Bariton und kein Bass.
Was Maximilian Berling, im Vorjahr Regisseur von "Figaros Hochzeit", diesmal inszeniert hat, wirkt unentschieden. Einerseits versucht er sich an einem Beziehungsdrama in heutigen Kostümen (Monika Staykova), andererseits wurde das Handlungsgerüst des Originals beibehalten. Was Fragen aufwirft, die bis zuletzt unbeantwortet bleiben: Mit welcher Macht hält Selim Konstanze in seiner Villa fest, wenn er kein Bassa ist. Und was macht da der Sadist Osmin?
Berling und der Schauspieler Thomas Birnstiel betonen mit einigem Geschick die Psychologie vergeblicher Liebe. Die eine oder andere Änderung wie der Auftritt Belmontes als Psychologen hätte ein Weiterdenken über die reine Pointe hinaus vertragen können. Warum Pedrillo in einem neu geschriebenen, sozialkritisch gefärbten Text vom Beginn seiner Beziehung zu Belmonte berichten durfte, blieb ebenso unklar wie die Spiegelung Belmontes in Selim.
Leider passt der muntere Traditions-Mozart des Dirigenten Henri Bonamy nicht wirklich zu den Ansätzen von psychologischer Tiefe, die zuletzt auch noch die dritte Strophe des "Lied der Trennung" KV 519 unterstreicht. Seine Trauer klingt in Krampes Arrangement ganz nach Schubert. Da deutet sich momentweise an, was aus der Aufführung hätte werden können, wenn alle Beteiligten mehr vom alten Mut der Kammeroper München aufgebracht hätten, bekannte und unbekannte Werke zu bearbeiten, statt ängstlich auf das Bewährte zu setzen.
Bis bis 18. September im Hubertussaal. Karten unter www.kammeroper-muenchen.com