Moses Wolff als Rasputin

Ein schrill-schräger Independent-Kinofilm als Parforceritt wie Performance
von  Thilo Wydra
Moses Wolff als Mönch zwischen den weißgekleideten jungen Damen in seinem Film "Rasputin".
Moses Wolff als Mönch zwischen den weißgekleideten jungen Damen in seinem Film "Rasputin". © MW

Die Bilder sind schwarz-weiß: Wenn die in eine lange dunkle Kutte gehüllte Gestalt ausholenden großen Schrittes durch finstre Wälder und über weite Wiesen schreitet, allein mit sich und der Welt, wenn alles wie ein atmosphärisches Schattenspiel wirkt, nur von den Lauten und Tönen von Flora und Fauna durchsetzt, dann ist es wohl die Zeit, in der der Wanderprediger Grigori Jefimowitsch Rasputin (Moses Wolff, der im Übrigen nie frontal, sondern stets nur im halbnahen Anschnitt zu sehen ist, oder als Kontur in der Totalen) wieder unterwegs ist. Unterwegs im Russischen Kaiserreich.

Unterwegs zum Zarenhof, dorthin, wo man ihn ob seiner Fähigkeiten als Heiler schon sehnlichst erwartet, geht es zu Hofe doch um Leben und Tod: Zarewitsch Alexei, der jüngste Sohn des Zaren Nikolaus II. (Christoph Theussl) und der Zarin Alexandra (Katja Meyer) liegt todkrank in seinem kleinen Bettchen, nur noch ein verzagtes Röcheln des Kleinen ist zu vernehmen. Manchmal schimpft er auch und kommentiert und kauderwelscht vor sich hin (Stimme: Sabine Bohlmann). Er hat die Bluterkrankheit. Der Sensenmann, so hat es den Anschein, steht bereits mitten im royalen Raum.

Rasputin, dieser geradezu sagenumwobenen, mythisch-mystischen Person der russischen Zeitgeschichte - 1869 im westsibirischen Pokrowskoje geboren und 1916 durch ein politisches Attentat in Sankt Petersburg ermordet, ein Jahr, bevor das Zarenreich unterging - hat sich der Münchner Schauspieler, Kabarettist und Autor Moses Wolff bereits vor einigen Jahren angenommen und als Bühnenstoff adaptiert.

Das zum 100. Todestag Rasputins anno 2016 aufgeführte Bühnenstück wiederum liefert nunmehr die Vorlage für einen abendfüllenden Kinospielfilm von etwa 80 Minuten Laufzeit Er erlebte im Mai dieses Jahres bei der ersten Ausgabe der "Isarfestspiele" seine Uraufführung.

Ein Phänomen ist bereits die Produktion an sich: Mit absolutem Low Budget ausgestattet, ohne jede institutionelle Förderung, ohne Sender, ohne Redaktion, entsprechend bislang auch ohne Verleih, ist "Rasputin" ein vollkommen autonomes Independent-Werk, bei dem Wolff für nicht weniger als Regie, Buch, Produktion und die von ihm verkörperte Titelrolle verantwortlich zeichnet: bajuwarisch-subversive Underground-Filmkunst in Personalunion.

"Rasputin" ist nun wahrlich kein faktentreuer dröger Geschichtsunterricht, sondern ein zwischen komödiantischer Humoreske, trashigem Experimentalstück und poetischer Phantasmagorie wild alternierendes Filmstück - ziemlich schrill, ziemlich schräg und vor allem herrlich surreal. Tragende Figuren sind hierbei die beiden aparten Zarentöchter Anastasia (Chiara Kremer) und Tatjana (Pi Helen Gildein), die nicht nur ebenso besorgt um des kleinen Brüderchens Zustand sind, sondern sich nicht minder um das körperliche Wohlergehen des heilenden Wanderpredigers kümmern. Wer hier wen verführt, ganz klar ist's nicht. Es sind denn auch jene semi-soft-erotischen Sequenzen, mitunter ein wenig redundant, bei denen im Schneideraum trotz aller visueller Dezenz durchaus noch beherzter hätte eingegriffen werden können. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Skurril ist jene herbe Szenerie, die sich insgesamt drei Male in den Film montiert findet und drei Bauern zeigt, den Bauer Konstantin, den Bauer Juri und den Bauer Jaromir (hier nun also der Regisseur in kurzer Frontalansicht, beinahe einem kleinen Hitchcock-Cameo gleich), wie sie friedlich wortkarg beieinanderstehen. Aus dem Handlungsrahmen fallen. Hier ein kurzer Schluck aus der Bierflasche, da ein knappes Wort. Fast ist´s ein rurales Stillleben.

Was an dem filmischen Unikum "Rasputin" neben anderem besonders bemerkenswert ist - zumal vor dem Hintergrund der so sehr limitierten produktionstechnischen Rahmenbedingungen -, ist das ästhetische Konzept und dessen gelungene visuelle Umsetzung: oftmals sind die Kamerabilder (Kamera und Schnitt: Ludo Vici) stark verkantet, wird nicht horizontal konventionell austariert fotografiert, sondern in die diagonale Schräge gegangen, gerne auch einmal die Bildkadrierung gekippt. Hinzu kommt eine gewisse low key-Ästhetik. Das assoziiert natürlich unweigerlich die schwarz-weißen Kamerabilder des Expressionismus, und es sorgt für zusätzlichen Charme dieser fernab allen uniformen Mainstreams gestemmten Produktion.

Thilo Wydra

Am Sonntag, 18. und Montag, 19. Juni um 22.15 Uhr im Werkstattkino, Fraunhoferstraße 9

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