Mit Wurschtigkeit zur ewigen Liebe

„Wilco (the album)“ – das neue eingängig überraschende Werk der Band aus Chicago
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„Wilco (the album)“ – das neue eingängig überraschende Werk der Band aus Chicago

Leben ist, wenn etwas nicht notwendig, aber auch nicht unmöglich ist. Wenn sich sechs Musiker mit Partyhütchen um eine Torte setzen, kann als siebter Gast ein Kamel mit Hütchen im Hintergrund stehen, muss aber nicht. Auf dem Cover von Wilcos neuer CD ist ein Kamel. „Wilco (the album)“ heißt es. Und gut aufgelegt rocken die Männer um Jeff Tweedy im Titelsong. Die Botschaft: Auch wenn es mal nicht so läuft und dir jemand ein Messer im Rücken umdreht: „Wilco will love you baby.“

Man kann, so über die Dauer seiner Existenz, diesen Trost brauchen. Denn zustoßen kann einem manches: „Bull Black Nova“ – die E-Gitarren fiepen wie eine Alarmanlage, der Sänger sitzt im Auto, Blut zu Hause auf dem Sofa, Blut im Spülbecken, Blut im Kofferraum. Wer eine Leiche spazieren fährt, beruhigt sich nicht so leicht. Oder „Country Disappeared“ (geschrieben vor Obamas-Wahl) – hier stellt Tweedy mit der im Country immer immanenten Hoffnungslosigkeit fest, dass plötzlich sein ganzes Land futsch ist und ihm nur die Sonne auf seinem Gesicht bleibt.

Ein Gewinn an Überschaubarkeit

Nach den klangkomplexen Werken „Yankee Hotel Foxtrot“, „A Ghost Is Born“ und dem progressiven Gitarren-Album „Sky Blue Sky“ hat die Band aus Chigago ein über die meiste Hörzeit erstaunlich leichtgängiges, immer noch stark alternative-country-lastiges aber in den Songstrukturen deutlich überschaubareres Album aufgenommen.

Wenn irgendwie alles passieren kann, ist alles irgendwie auch zu Ende passiert – Wilco geben auf diesem Album erst einmal die Wurschtigkeit als einzig mögliche Haltung aus. „You Never Know“ heißt der dazu passende, stark von George Harrison inspirierte Song. „Jede Generation denkt, sie sei die letzte“, klärt der Tweedy seine Hörer auf und beschließt: „I don’t care anymore“. Einer Band, die mit Kamel feiert, muss man zugestehen, dass sie das Leben einfach mal auf sich zukommen lässt.

Das Geheimnis der Platte aber liegt in dem zarten „Solitaire“: „I was wrong to believe in me only“, singt Tweedy. Der einzeln Einsame sieht nur das Weltchaos, nicht die unendlichen Möglichkeiten. Im letzten Song „Everlasting Everything“ strömen die Gedanken im ruhig drängenden Fluss des Klanges über die ewige Kontingenz hinweg. Auch wenn alles zerfällt: „Erzähl mir nicht, die ewig währende Liebe wäre eine Lüge.“

Christian Joss

Wilco: „Wilco (the album)“ (Nonesuch/Warner)

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