Mit "Melancholia" gelingt Lars von Trier ein Meisterwerk
Am Anfang ist die Apokalypse – nicht als Zerstörungsorgie, sondern als Bilderrausch in Schönheit, untermalt mit dem Wagnerschen Liebestod-Motiv. Tauben fallen vom unwetterdunklen Himmel, eine Sonnenuhr im geometrischen Garten versinkt im Schatten. Das Meer erhebt sich graublau schäumend, ein Pferd legt sich stürzend nieder. Es ist, als ob über streng aufgebaute Renaissance-Bilder die nachtverliebte Romantik und der todesverliebte Symbolismus zusammenfließen in ein unvergesslich erschütternd schönes Untergangsszenario.
Lars von Trier hat mit „Melancholia” seinen wunderbarsten Film gedreht, und diesmal frei von Gewalt (wie bei „Antichrist”). Aber wieder taucht der Film in weibliche Psychen – bei einem ungleichen Schwesternpaar: Kirsten Dunst als depressiv-melancholische Braut, die das für sie ausgerichtete großbürgerliche Hochzeitsfest nervlich nicht durchhält und durch Rück- und Entzug traumwandlerisch den inszenierten Repräsentations-Rahmen sprengt, als ob ihr die eigene Feier unwirklich vorkommt. Dagegengesetzt ist die rationale Vorzeigetochter, Charlotte Gainsbourg, die ihre gesellschaftlich nicht mitspielende Schwester hassliebend verachtet. Aber in Anbetracht des sich immer deutlicher androhenden Weltuntergangs wird sich dieser Stärke-Schwäche-Gegensatz auflösen, ja umkehren. Und die psychisch-esoterische, labile Schwester kommt mit dem nahenden, alles auslöschenden Ende besser klar.
Männer spielen in diesem Film nur eine Nebenrolle. Kiefer Sutherland vertritt als Physiker und Schwager der Braut die Aufgeklärtheit, der allen Ängstlichen erklärt, dass der auf die Erde zusausende Komet letztlich kollisionsfrei vorbeiziehen wird. Seinem Sohn erklärt er die Sache mit einem Teleskop-Fernrohr. Und so erlebt der Zuschauer, wie zu Sonne und Mond ein weiterer Himmelskörper immer bedrohlicher am Firmament auftaucht und sich so ein irritierendes, die Ordnung aus den Angeln hebendes Dreigestirn bildet. Bis klar wird, dass alle wissenschaftlichen Beschwichtigungen falsch sind. Und wieder ist es die Frau, die naturnähere, die zusammen mit den Tieren des großen Landhauses den Untergang wittert und als natürliches Ende – fast als das Leben vertiefende Bereicherung – hinnimmt.
So ist durch psychologische Tiefe, intensivste Schauspielkunst, fantastische Bildergewalt und ein volles Schöpfen aus dem Riesenfundus europäischer Kultur großes Kino entstanden.
Kino: Arri, City, Leopold, Monopol, Rio, Sendlinger Tor, Studio Isabella, Atlantis (OmU), Cinema (OV) R&B: Lars von Trier (DK, 136 Min.)
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