Mit flipperflinken Fingern
Was für eine prächtige Metapher das Flippern für das Leben ist. Manchmal hat man alles unter Kontrolle, hält den Ball im Spiel. Manchmal reicht die Geschicklichkeit nicht aus, der Fall ins tiefe Loch, und ein neues Spiel beginnt. Und manchmal fühlt es sich so an, dass man selbst hin- und hergeschossen wird, so wie es der kleine Tommy erleben muss.
Da wird er zum Beispiel von seinen Eltern an seinen Cousin zur Aufsicht abgegeben. Der Cousin schikaniert ihn. Eine schöne Choreografie des Quälens ist das, was im „Raum für Kultur”, einem der Proberäume des English Theatre in Frankfurt einstudiert wird. Der 11-jährige Nicolas aus München wird von dem Tänzer Simon Hardwick in die Szene eingewiesen, wird von Simon alias dem Cousin in der Luft herumgewirbelt – „Rücken gerade halten!” –, dann auf den Boden gelegt, wo er sich krümmen soll, als ihm eine imaginäre Zigarette in den Arm gedrückt wird. Nicolas begreift schnell, seine anwesende Mutter Anja ist zufrieden. Anfang März wurde Nikolas gecastet, in Frankfurt soll er schon mal lernen, was er in München zeigen soll. Er ist einer von acht Kinderdarstellern, die im Wechsel auf der Bühne des Deutschen Theaters stehen werden, wenn dort ab Mittwoch das Musical „The Who’s Tommy" für zwei Wochen gastiert.
Kinder aus München stehen auf der Bühne
Es ist eine rasante, präzise Erfolgs-Inszenierung, die das Deutsche Theater aus Frankfurt übernimmt. Im mit 300 Plätzen eher kleinen, aber feinen English Theatre, dem größten englischsprachigen Theater auf deutschsprachigem Boden, wird hauptsächlich Sprechtheater gezeigt. Aber einmal im Jahr wird hier getanzt und gesungen, auf hohem Niveau. Dafür casten die Frankfurter ihre Darsteller in England und New York, die ersten vier Probewochen finden in London statt. „The Who’s Tommy” wurde in Frankfurt zum Schlager, das Stück konnte noch eineinhalb Monate länger als geplant vor ausverkauftem Haus gespielt werden, und nun kommen Gastspiele in München, Wien, Brüssel, Berlin und Dresden.
Ein böses Märchen hat sich die Rockband The Who 1969 ausgedacht. Ihr Konzeptalbum erzählt die Geschichte eines Jungen, dessen Vater aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrt, die Gattin mit dem Liebhaber erwischt und diesen vor den Augen des Kindes erschlägt. Von diesem Ereignis geschockt wird der Junge taub, stumm und blind, bis er durch das Zerschlagen eines Spiegels zu neuem Bewusstsein erweckt wird und zum Flipper-Meister sowie Führer der Massen mutiert.
Im Kopf von Tommy
Zunächst wandelt der Kleine jedoch traumatisiert durch sein Leben. Nicolas wird mit einer Gesichtsmaske auf der Bühne stehen, was eine der visuellen Ideen ist, die sich Regisseur Ryan McBryde ausgedacht hat. McBryde orientiert sich durchaus an dem psychedelischen „Tommy”-Film, den Ken Russell 1975 zusammen mit The Who drehte. Die Szenenwechsel sind schnell, die Sänger geben gehörig Gas. Und Ryan dreht die Schraube ins Psychologische weiter. Zu Beginn steht Leo Miles als Tommy in einem Stahlkäfig. Der junge Mann wurde in die Psychiatrie eingeliefert und das Publikum bekommt einen Einblick in seine Erinnerungswelt. Leo Miles hat 2011 seine Ausbildung an der Royal Academy of Music in London beendet und wurde vom Fleck weg für „Tommy” engagiert. Den Film habe er nicht gesehen, meint der Shooting-Star in der Bar des English Theatre, und geflippert habe er erstmals, als er für die Rolle recherchierte.
Eine Flipper-Choreografie mit ganz schnellen Fingern darf man jetzt bewundern, und alle Hits werden gespielt: Die „Acid Queen” verführt Tommy, im Flipper-Duell siegt nur er („Pinball Wizard”). Und Tommys Sehnsuchtsruf „See me, feel me, touch me, heal me” wird auch im Deutschen Theater grooven, dank der sechsköpfigen Rockband unter Leitung von Thomas Lorey.
Zum Schlussapplaus werden dann auch noch mal die Münchner Kids zu sehen sein, der finale Tanz wurde mit ihnen bereits in Frankfurt eingeübt. Nicolas hatte das natürlich gleich sehr gut drauf. Was ja auch sein muss. Schließlich geht es hier um perfektes Entertainment, den High Score, wie man beim Flippern sagen würde.
Deutsches Theater, Werner-Heisenberg-Allee 11, 18. bis 29.4., Di – Sa 20 Uhr, Sa, 21.4., auch 15 Uhr, So 19 Uhr, Tickets 24 bis 54 Euro, Tel. 55 23 44 44