Mit 180 Sachen gegen die Wand

Das Staatschauspiel eröffnet das letzte Jahr der Intendanz von Dieter Dorn mit Heinrich von Kleists „Penthesilea“
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Das Staatschauspiel eröffnet das letzte Jahr der Intendanz von Dieter Dorn mit Heinrich von Kleists „Penthesilea“

Unerbittlich hetzt Königin Penthesilea den Griechenhelden Achill übers Schlachtfeld. Aus Liebe: Denn nur einen Mann, den sie im Kampf besiegt haben, dürfen die Amazonen laut Gesetz ihres Frauenstaates für kurze Zeit lieben. Davon weiß Achill nichts. Doch beim Anblick der schönen Kriegerin trifft ihn Amors Pfeil – und der Clash der Kulturen löst ein tödliches Missverständnis aus.

Das Residenz Theater eröffnet am Freitag die Spielzeit mit Heinrich von Kleists Trauerspiel.. Hans-Joachim Ruckhäberle inszeniert, Lisa Wagner und Shenja Lacher spielen die Hauptrollen in „Penthesilea“. Für die beiden jungen Schauspieler ist es die letzte Saison am Staatsschauspiel. Wie der Großteil des Ensembles verlassen sie im nächsten Sommer das Haus, wenn Martin Kusej die Nachfolge von Intendant Dieter Dorn antritt. Shenja Lacher, Jahrgang 1978, wechselt ans Hamburger Schauspielhaus. Lisa Wagner, Jahrgang 1979, hat am Resi die ganze Ära Dorn seit 2001 miterlebt. Sie ist stolz, diese Dekade mit einer so großen Rolle abzuschließen.

Penthesilea verstößt gegen ein Amazonen-Gesetz: Sie wählt ihren Gegner selbst. Denn ihre Mutter hat ihr den größten Helden, als Mann prophezeit. „Sie hat jahrelang Geschichten von Achill gehört, sie ist aufgeladen mit Bildern“, erklärt Lisa Wagner. „Wenn sie ihn dann sieht, ist er der geilste Mann von allen.“

Bei Achill schlägt der Coup de foudre erst ein, als er die besiegte, ohnmächtige Penthesilea in den Armen hält. Shenja Lacher: „Er hat das noch nie erlebt: Eine Frau, die ihm Paroli bietet, auch in der Schlacht. Wenn sie ihre Pfeile auf ihn schießt, findet er das geil. Beide stehen wie Kinder voreinander, die so ein Gefühl gar nicht kennen. Sie machen dabei alles durch von Zärtlichkeit bis Unterwerfung und Brutalität. Aber sie reden aneinander vorbei, weil jeder an seiner eigenen Idee festhält. Am besten verstehen sie sich in der Schlacht.“

Ein antiker Kamikaze

Als Penthesilea erkennt, dass nicht Achill ihr Gefangener, sondern sie die seine ist, ebnet er ihr mit einer Forderung zum Zweikampf einen ehrenvollen Weg: Er will sich zum Schein besiegen lassen. „Er unterschätzt sie, er glaubt, die ist zahm, die tut mir nichts“, meint Lacher. Wagner findet Achills Haltung ein Zeichen von Größe: „Aber auf Grund ihres kulturell eingepflanzten Misstrauens gegen Männer kommt Penthesilea gar nicht auf die Idee, dass er das für sie tut. Für sie ist klar: Er will sie demütigen. Entweder Liebe oder Tod. So fahren sie mit 180 Sachen auf die Wand zu – in einen Kamikaze-Tod.“

Shenja Lacher entdeckt in der bedingungslosen Liebe Parallelen zu Romeo und Julia: „Aber mit anderen Vorzeichen. Beiden steht ihr übergroßes Ego im Weg. Und anders als Romeo und Julia haben sie es selbst in der Hand: Wenn beide etwas zurücktreten könnten, ginge die Geschichte anders aus.“ Die Erkenntnis, dass sie Achill getötet hat, bringt auch Penthesilea um. „Was da in ihr hochkommt, ist beängstigend“, findet Lisa Wagner: „Wenn sie ihren unversöhnlichen Hass rauskippt, ist diese Figur auch hässlich - als hätte sich ein Dämon in sie reingeschraubt. Sie richtet die Sprache als Waffe gegen sich und redet sich in den eigenen Tod.“

Ruckhäberles Inszenierung verzichtet fast ganz auf Ausstattung. Shenja Lacher sagt: „Es geht um Sprache und Zeichen, um das Erfinden von Ritualen.“ Er könnte sich das auch ganz anders vorstellen, etwa durchgerockt mit Rammstein-Songs, wie es Roger Vontobel gerade in Hamburg zeigt: „Hinter Song-Zeilen wie ,Sex ist eine Schlacht’ oder ,Liebe ist Krieg' kann man sich verstecken, das braucht man dann nicht mehr zu spielen." Für Lisa Wagner ist die szenische Reduktion eine Mutfrage: „Wir müssen alles über Emotionen zum Leben erwecken. Was wir nicht spielen, findet nicht statt.“

Gabriella Lorenz

Premiere am 24. 9 ., 19 Uhr im Residenz Theater, Tel. 2185 1940. Weitere Vorstellungen am 26. 9. sowie1., 18 und 26. 10.

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