Mister Dercons globale Karriere
Ein Paukenschlag für die Münchner Kultur: Chris Dercon, der Direktor des Hauses der Kunst, verlässt München und übernimmt die Leitung der renommierten Tate Modern in London
Dass Chris Dercon hier nicht in Rente gehen würde, war klar. Jetzt wechselt der Direktor am Haus der Kunst doch überraschend nach London. Im Frühjahr 2011 wird er dort die Leitung der Tate Gallery of Modern Art übernehmen, ein Job, den sich kein Ausstellungsmacher durch die Lappen gehen lassen kann.
München verliert damit einen Kunst-Maniac mit glühenden Verbindungen in die globale Szene, einen Motor und Kommunikator, der lässig zwischen Künstlern, Agenten und Mäzenen tänzelt, geschickt zwischen Politik, Wirtschaft und seiner Zunft vermittelt. Seit 2003 ist der Belgier Herrscher im Kunsttempel an der Prinzregentenstraße, nach sieben Jahren unangefochtener Chef-Conférencier der Gegenwartskunst. Den regimekritischen Chinesen Ai Weiwei hat er 2009 nach München geholt, ließ ihn dessen Wunden im Haus zeigen – und die Fassade mit 9000 Kinderrucksäcken bestücken. Wie ein Mahnmal sollten die bunten Pakete an totgeschwiegene Erdbebenopfer erinnern. Und auch Paul McCarthy durfte an die Front – allerdings mit poppig quietschbunten Luftballons. Zur Fußball-WM 2006 thronte dann der mächtige „Allianz“-Schriftzug provokativ auf dem Dach – zur Herzog & de Meuron-Ausstellung.
Dercon liebt den spektakulären Auftritt, da darf es gerne mal etwas plakativer werden. Und schließlich muss selbst der draußen vorbeirasende Autofahrer sehen, dass drinnen wieder Aufregendes bis Extravagantes passiert. Da geizt auch Kunstminister Heubisch nicht mit Lob und unterstreicht, dass sich das Haus unter Dercons Ägide „zu einer der spannendsten und renommiertesten Ausstellungsstätten für Moderne Kunst“ entwickelt habe. Das hat – leider – auch die Tate erkannt. Dercon habe in München „herausragende Ausstellungen“ gemacht und Kunst aus aller Welt gezeigt, sagte Nicholas Serota, Direktor der Tate-Museen, zu denen auch die Tate Britain in London und die Tate in Liverpool gehören.
Unkonventionell
Trotzdem war und ist sich der 52-jährige Dercon nie zu schade, auch mal in einer Kinderkunst-Jury mitzumischen. Oder die Kunst geistig Behinderter ins Haus zu holen. Unkonventionell lautet das Stichwort, deshalb wollte und konnte sich Dercon nie auf einen Stil oder künstlerische Vorlieben festlegen lassen. Egal, ob nun krude Videos oder die publikumswirksamen Fotografien des Andreas Gursky in den Paul-Troost-Bau aus den 30er Jahren zogen, junges Design oder abgedrehte Performances, Laufsteg-Mode oder Christoph Schlingensiefs schräges Auktions-Happening.
Gar nicht nebenbei bemühte sich Dercon aber auch um die hiesige Szene. Nicht nur die aktuelle, junge. Rupprecht Geiger hat er zum hundertsten Geburtstag eine imposante Schau bereitet, ließ extra dessen „Rote Trombe“, ein riesiges Farbzelt, im Foyer aufbauen. Und zum Wiesn-Jubiläum im Herbst wird’s eine große Islam-Ausstellung geben – quasi als Wiederholung der Schau „muhammedanischer Kunst“ im Jahr 1910 auf der Theresienhöhe.
Wenn Dercon nächstes Jahr an die Themse zieht und dort den Spanier Vicente Todoli beerbt, könnte es für München schwierig werden. Denn nicht nur die Neubesetzung, auch die komplizierte Renovierung des 1937 eröffneten Ausstellungsgebäudes steht an. Dercon hatte sich dafür mit seinen Favoriten, den Architekten Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron beraten. Der Umbau bei laufendem Ausstellungsbetrieb sollte nach seinen Wünschen bis 2015 über die Bühne gehen.
Christa Sigg