Menschenfressende Ordnung

Mit Kafkas „Das Schloss” zeigt das Tanz-Ensemble des Gärtnerplatztheaters auf beklemmende Weise, wie die Bürokratie die Liebe verschluckt
Anne Kathrin Koophamel |
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Wie Spinnen wieseln die Aktenordner auf K. zu. Umkreisen ihn, springen ihn an, verfolgen ihn – und zerfetzen sich in ihrer Aufregung über den Eindringling selbst. K., getanzt von Neel Jansen, wird unter ihrem Zettelwust begraben.

So endet das neue Tanzstück „Das Schloss” am Gärtnerplatztheater und lässt einnachdenkliches Publikum zurück. Ballettchef Hans Henning Paar hat Franz Kafkas Roman auf die einzig mögliche Weise inszeniert: verwirrend und aggressiv.

Als am Anfang der Ensemble-Neuzugang Jansen über den Zuschauerraum auf die Bühne klettert, wird klar: Das Publikum und der Landvermesser K. sind Komplizen. K. versucht vergeblich, in einem Dorf beim Schlossverwalter vorstellig zu werden. Er und seine Liebschaft mit Frieda – beklemmend getanzt von Caroline Fabre – scheitern an der Bürokratie, die an unsinnigen Regeln festhält.

Auf hohen Leitern, in kaltes Licht getaucht, schieben sich die Beamten über die Bühne, werden immer dann dynamisch, wenn K. in Lethargie verfällt – und stoppen ihre Arbeit, sobald er aktiv wird.

Paar spielt mit diktatorischen Bildern, lässt uniformierte Schüler im Einheitsbrei aufgehen, Männer in Anzügen verteidigen ihre Gesetze. Schade nur, dass Paar der Versuchung nicht widerstanden hat, auf Textfragmente zu verzichten: Ein vorgelesener Paragraf oder das Freizeichen eines Telefons reißen einen aus dem eigenen Gedankenstrudel, der einen immer tiefer in das Stück zieht. Zumal unter der musikalischen Leitung von Liviu Petcu der Kontrabass so quietscht und ächzt, dass es keine Verstärkung braucht.

Die Intensität des Stücks wird leider weniger durch die moderne Choreografie, die oft an ein Schleifen und Ziehen von Gliedmaßen erinnert, hergestellt, als durch das Bühnenbild an sich. Die Künstlerin Christl Wein lässt die Dorfbewohner in einer Heimat aus alten Akten leben, die miteinander so fest verschnürt sind, dass sie das Leben einengen, sogar zum Erliegen bringen – jedoch auch Schutz bieten. Die klaustrophobische Wirkung wird durch Lichteffekte mit nackten Glühbirnen noch verstärkt.

„Das Schloss” ist ein Stück, das zunächst langsam, dann immer bildgewaltiger auf einen einprasselt. Alles was am Ende bleibt, ist ein einzelner, wieselnder Aktenordner.

Weitere Aufführungen an diesem Samstag, 28. Mai, sowie am 2., 6., 16. Juni und am 1., 12., 20. und 27. Juli

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