Melankomisches Flirren

Mit „Alles nur Liebe“ hat der Regisseur Andreas Kriegenburg ein schwebend leichtes, todtrauriges und zugleich saukomisches Theater voller Musik in die Kammerspiele gebracht
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Mit „Alles nur Liebe“ hat der Regisseur Andreas Kriegenburg ein schwebend leichtes, todtrauriges und zugleich saukomisches Theater voller Musik in die Kammerspiele gebracht

Zur Liebe gehören zwei. Denkt man. Aber oft lodert sie in der Einsamkeit, in verzweifelten Versuchen, eine Zweisamkeit zu finden. Diesem tragikomischen Aspekt widmen Andreas Kriegenburg und sein fabelhaftes Ensemble ihr Projekt „Alles nur der Liebe wegen“ in den Kammerspielen. Die melankomisch flirrende Uraufführung wurde mit großem Applaus gefeiert.

„Entschuldigen Sie bitte, würden Sie mir einen Stern vom Himmel holen? Darf ich Sie um den Rest Ihres Lebens bitten?“ Wiebke Puls adressiert zu Beginn ihre Wünsche direkt an die Zuschauer und bleibt ihnen am Ende die Rückfragen nicht schuldig. Damit eröffnet sie einen Bilderreigen, der mit absurder (Alb-)Traumlogik ins schwarze Herz der Sehnsüchte und des Liebeshungers führt.

Im Strumpfhosen-Schlepptau

Was die acht Schauspieler mit Andreas Kriegenburg (Regie und Bühne) an Texten und Szenen erarbeitet haben, ist ein an Botho Strauß erinnerndes, mit elegischer Heiterkeit grundiertes Szenenmosaik. In der Stunde, in der sie noch nichts voneinander wissen, treffen Passanten, die gern Paare würden, aufeinander. Im feudalen Foyer eines Schloss-Museums: rosa Marmor-Wände, Flügeltüren, neoklassizistische Säulen, hohe Spiegel. Die Hallendecke kann sich plötzlich drehen, um Rückwand und Projektionsfläche zu werden. Was den Menschen leise im Kopf umgeht, macht Stefan Merki als Gedankenlauscher laut: Wenn er sich ihnen zuneigt, hören wir ihre Ängste und Wünsche.

Ein alter Mann (Walter Hess) wartet seit 32 Jahren hier auf seine Geliebte, die nie kommt. Eine mondäne junge Frau (Lena Lauzemis) schleppt ihn am Ende mehr als handgreiflich ab. Wiebke Puls dramatisiert witzig die Angst vor Alter und Schönheitsverlust, als Exhibitionistin zieht sie einen Totalneurotiker (Oliver Mallison) an der Strumpfhose hinter sich her. Sylvana Krappatsch und Edmund Telgenkämper verschlingen sich im gegenseitigen Entkleiden und malen sich das Ehe-Bekenntnis „Ja“ auf jeden freien Körperteil – sie nehmen sich buchstäblich in Besitz.

Groteskes Partner-Casting

Die anderen sind in ihrem Glücksstreben weniger erfolgreich. Annette Paulmann mit ihrem trockenen Humor holt sich im Scheitern die meisten Lacher: Am Ende erlebt sie in einem monströsen roten Tutu noch mal eine Kindheits-Demütigung. Glanzstück der Ensemble-Szenen ist die Tanzstunde: Da stürzen Männer und Frauen wild aufeinander zu. Doch schon nach dem ersten Takt sind ihre Füße über Kreuz, die versuchte Harmonie mündet immer wieder in lautstarken Disput. Bis ein Paar über alles Geschrei hinweg ganz nebenbei doch den Walzer schafft. Grandios grausam und grotesk ist auch das Partner-Casting, bei dem sich tanzend alle zum Affen wahlweise Gockel oder Häschen machen.

Der Abend hat Längen, ist aber nie langweilig. Nur die Show-Einlage der das Publikum mit Umarmungen beglückenden Tombola könnte man sich trotz Stefan Merki als wunderbarem Entertainer sparen. Spaß macht dafür ein Taschenlampenballett. Und die Musik, die den Abend rhythmisiert, von Jazz-Standards bis Schostakowitsch. Licht, Musik und wunderbare Ensemble-Arbeit fügen sich hier zur hochmusikalischen, poetischen Theaterpartitur, die schwebend leicht, todtraurig und hochkomisch ist. Und am Ende auch noch den Traum vom Fliegen verwirklicht.

Gabriella Lorenz

Kammerspiele, 7., 11., 17., 25., 31. Dezember, Tel.233966 00

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.