"Mein schwerster Job"
Heute endet die Spielzeit in den Kammerspielen – und damit auch die Intendanz von Frank Baumbauer. Als Abschiedsvorstellung nach acht Jahren hat er sich „Othello“ gewünscht
Gehen, wenn’s am besten läuft: Das hat Frank Baumbauer schon als Intendant in Basel und Hamburg getan. So hält er es auch in München: Vor zwei Jahren beschloss er, seine Intendanz an den Münchner Kammerspielen nicht über 2009 hinaus zu verlängern. Nach acht Jahren erfolgreicher Amtszeit wird der 63-Jährige heute Abend im Theater verabschiedet – mit der letzten Vorstellung von Luk Percevals „Othello“-Inszenierung, die 2003 das restaurierte Schauspielhaus wiedereröffnete.
AZ: Herr Baumbauer, mit welchen Gefühlen packen Sie jetzt Ihre Kisten?
FRANK BAUMBAUER: Vorher war ich gelassen, doch in diesen letzten Tagen ist das emotional etwas belastet. Weil es schwer fällt, sich zu trennen. Aber ich bin erleichtert, dass die Verantwortung wegfällt.
Sie verlassen die Kammerspiele auf eigenen Wunsch – und das nicht, weil anderswo eine neue Aufgabe lockt.
Ich werde jetzt viel Zeit haben. Dadurch, dass ich keine nächste Spielzeit vorzubereiten hatte, hatte ich bisher schon mehr Zeit als vorher und konnte das ungewohnte Gefühl schon etwas üben. Ein Großteil der Arbeit eines Intendanten steckt in der Planung, die absorbiert einen etwa zur Hälfte. Für mich war das ein gleitender Übergang, und ich musste mich disziplinieren, um mich rauszuhalten, wenn ich die Kollegen bei der Vorbereitung für die neue Spielzeit sah.
Sie haben die Kammerspiele für Experimente geöffnet und ein junges Publikum dazugewonnen. Elf Inszenierungen waren zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Was war Ihr Anspruch, als Sie 2001 hier anfingen?
Ich bin eingeladen worden, weil ich für eine bestimmte Öffnung des Theaters stand, so war mein Auftrag: Die Kammerspiele wieder zu einem zeitgenössischeren literarischen und politischen Theater zu machen. Das hat mich sehr gereizt. Als ich in Basel das Theater übernahm, musste ich ein Drei-Sparten-Haus leiten. Als ich nach Hamburg kam, schien das Schauspielhaus unregierbar. In München war das schwieriger: Ich hatte noch nie ein so erfolgreiches Theater übernommen. Es ist leichter, einen kränkelnden Patienten zur Gesundheit zu bringen, als ein Haus, das großartig dasteht, neu zu beleben. Dazu kam die spezielle Herausforderung, dass mein Vorgänger auf die andere Straßenseite wechselte – das war bei meinem Vertragsabschluss nicht bekannt.
Haben Sie rückblickend Ihren eigenen Anspruch erfüllt?
Ja, es ist gelungen, die Kammerspiele zu einem zeitgemäßen Theater zu machen. Und das Theater offen zu halten für alle Generationen, es zu einem wichtigen kommunalen Versammlungsort unserer Gesellschaft zu machen und auf diese Gesellschaft einzugehen. Und die Generationenkette sieht man im Publikum genauso wie im Ensemble.
Sie haben mit Ihren Spielzeit-Motti und mit stadtbezogenen Projekten stark auf die soziale Realität reagiert.
Wir wollten das Theater der Wirklichkeit näher bringen. Die Menschen sollen kommen, weil sie sich für das, was wir zeigen, interessieren, nicht weil man in die Kammerspiele geht. Man muss nah an den Menschen dran sein. Dadurch entsteht ein anderer Gestus im Zuschauerraum und ein anderes Gefühl für die Schauspieler.
Welche Inszenierungen waren für Sie die wichtigsten?
„Schlachten!“ von Luk Perceval war am Anfang sehr wichtig. Das verlangte den Leuten ein vermessenes Zeitmaß ab, einen ganzen Tag, fast wie in Bayreuth. Auch in der Entwicklung von Stilen über die fünf Teile hinweg lag eine Setzung. Wichtig waren natürlich sehr viele andere Aufführungen wie etwa „Dantons Tod“ im Neuen Haus, „Die Nibelungen“ und andere Kriegenburg-Inszenierungen, Johan Simons’ und Jossi Wielers Arbeiten und viele mehr. Sehr wichtig war Percevals „Othello“ – die Eröffnung des Schauspielhauses war nochmal ein Neuanfang. Mit „Othello“ haben wir die erste Marke gesetzt.
Inzwischen ist „Othello“ Kult geworden, aber anfangs waren die Meinungen geteilt. Vor allem die Fäkalsprache von Feridun Zaimoglus Bearbeitung erregte Empörung.
Dass das so eine Debatte auslösen würde, hat mich ein wenig überrascht – in Hamburg waren wir da schon weiter. Aber „Othello“ funktionierte als Eisbrecher für viele andere Aufführungen. Viel bewirkt hat auch „ Anatomie Titus Andronicus“ von Johan Simons – das war pure Arbeit mit dem Publikum. Am stolzesten bin ich, dass sich das Ensemble so prachtvoll entwickelt hat. Luk Percevals „Traum im Herbst“ und Jossi Wielers „Alkestis“ waren die ersten Ansätze, ein Ensemble zu bilden. Wielers „Rechnitz“ ist eine hervorragende Arbeit: Dieses komplexe Thema mit Jelineks Sprache zwischen Anspruch und Kalauer so süffisant vorzutragen – das kann auf diesem Niveau nur so ein Ensemble.
Gab es auch Misserfolge?
Sicher. In vielen Arbeiten haben wir unsere gesteckten Ziele nicht geschafft. Aber es hat nie eine Aufführung gegeben, wo ich gesagt hätte: Stopp, das lassen wir so nicht raus, das würde etwas beschädigen! Wir haben auch nichts verschoben, denn was in acht oder neun Wochen nicht gelungen ist, gelingt auch in zehn oder elf Wochen nicht.
Sie waren anfangs Regisseur. Wann und warum haben Sie aufgehört zu inszenieren?
Mit meiner ersten Intendanz 1983 am Residenz Theater. Erstens brauchte ich meine Zeit, um das Theater zu leiten. Zweitens – und das sage ich nicht kokett: Ich bewundere tolle Regisseure und konnte meine eigene Kraft ganz gut einschätzen. Ich empfand keinen Verlust und keine Sehnsucht nach der Regie, das war vorbei. Allerdings war es gut, dass ich viel inszeniert hatte, weil ich dadurch den Schauspielern sehr nah war. Als ich Intendant wurde, wusste ich, dass sich in diesem Beruf meine Fähigkeiten am besten konzentrieren ließen.
Ist ein nicht regieführender Intendant in erster Linie Manager?
In allererster Linie muss man Künstler sein, eine Vision von Theater haben, Ideen vorgeben und sie den Partnern vermitteln. Man braucht ein großes Einfühlungsvermögen für alle Künstler. Natürlich muss man organisieren können, administrative Fährigkeiten haben und dann noch die Außenposition spielen in Politik und Gesellschaft. Aber alles muss sich der Kunst unterordnen.
Bleibt noch die Frage nach Ihrer Zukunft.
Die ist ganz herrlich: Ich habe nichts vor. Ich hatte ein paar konkrete Angebote, aber ich wollte hier diese acht Jahre erreichen. Ich mache jetzt erstmal Ferien, und dann werden wir sehen, wie mir das Nichtstun bekommt. Ich habe keine Langzeitplanung für ein Jahr – das ist ein Privileg, ein Luxus.
Ihr Nachfolger Johan Simons tritt erst 2010 an. Hätten Sie nicht das eine Jahr noch dranhängen können?
Das bin ich oft gefragt worden. Aber ich hab’ mir das so schwer gemacht, hier aufzuhören. Wenn ich wieder arbeite, dann gewiss im Theaterbereich. Aber ich werde kein Stadt- oder Staatstheater mehr leiten. Da bin ich nicht mehr verführbar. Es muss für mich eine neue Aufgabe sein, vor der ich Respekt habe.
Gabriella Lorenz
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