„Mein Leben passt in einen Koffer“

Der Sänger der Toten Hosen ist auf Dauer-Tour. Mit der AZ spricht er über das neue Live-Geschäft der Musik-Branche, Stress auf der Bühne sowie Apfelschorle vor, Wein nach dem Auftritt
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Der Sänger der Toten Hosen ist auf Dauer-Tour. Mit der AZ spricht er über das neue Live-Geschäft der Musik-Branche, Stress auf der Bühne sowie Apfelschorle vor, Wein nach dem Auftritt

Die Vögel singen, laue Luft streicht über den Balkon im Hinterhof in Nymphenburg. Campino leidet. Und nimmt per Handy an der Katastrophe teil: Seine Fortuna (Düsseldorf) spielt wieder nur unentschieden – na super. Doch Campino reißt sich zusammen und konzentriert sich auf das Geschäft. Gerade hat er mit seiner Band, den Toten Hosen, das Album „La Hermandad – En el Principio“ für den argentinischen Markt veröffentlicht.

AZ: Campino, viele Bands erzählen, das Live-Business sei das einzige, das funktioniert.

CAMPINO: Wir waren eh immer eine Live-Band. Aber es trifft auch bei uns zu, dass sich das Kerngeschäft geändert hat. Früher haben wir Tourneen gespielt, um Alben zu verkaufen. Heute machst du CDs, um die Leute auf die Tour zu bringen.

Gewöhnt man sich an dieses Tour-Nomadentum?

Wenn ich diese Vagabundenseele nicht ohnehin hätte, könnte es zu einem Problem werden. Allerdings gibt es immer wieder Schwierigkeiten, umzuschalten zwischen dem normalen Leben zu Hause und dem auf Tour. Gleichzeitig hat es auch gute Aspekte: Im Prinzip passt mein Leben in einen Koffer.

Wie geübt sind Sie im Kofferpacken?

Total. Da läuft eine Routine ab. Gestern Nacht kam ich aus Krakau, konnte einen Waschmaschinengang machen und sollte wieder packen. Da war ich so müde, dass ich nicht in der Lage war, etwas einzupacken. Manchmal ist der Trick, schlafen zu gehen und mit dem Morgenanlauf nach dem Duschen loszulegen.

Braucht man ein Fitnessprogramm vor Konzertreihen?

Ich versuche regelmäßig zu trainieren. Bis zum Winter spielen wir noch etwa 60 Konzerte und du lässt immer etwas da. Das kostet Energie.

Wie sieht denn euer Backstage-Bereich aus?

Wenn wir in größeren Hallen spielen und die Lastwagen größer sind, packen wir immer noch eine Tischtennisplatte ein. Das ist eine lockere Art, um mit der Crew in Kontakt zu sein. Es fahren ja immer 50 bis 60 Mann mit und dann gibt es ein Turnier. Ansonsten ist es backstage absolut funktionell. Es wird Wert darauf gelegt, dass die Leute gut verköstigt werden. Du kannst auf einer Tour, die über mehrere Monate geht, nicht jeden Abend Pizza hinstellen.

Bringt man vor einem Auftritt etwas herunter?

Wir haben mal ein Eishockey-Spiel gegen die Leningrad Cowboys gemacht, dafür haben wir einen Monat trainiert. Da habe ich gelernt, dass man an einem Spieltag kein Fleisch isst. Wenn um 21 Uhr Auftritt ist, esse ich um 16 Uhr meine Pasta. Dazu gibt es eine Apfelschorle. Und wenn alles perfekt läuft, schlafe ich vorher noch eine Stunde.

Gibt es Manöverkritik?

Jeden Abend. Wir rotieren Lieder wie ein Manager Spieler. Du versuchst, dir einen Weg zu bahnen, wie das Programm am besten ankommt.

Gibt es Rituale kurz vor Konzertbeginn?

Anderthalb Stunden vorher geht es los, dass man sich vorbereitet. Es hilft sehr, ein Zeitgerüst zu haben, um sich, egal in welcher Stadt, daran zu orientieren. Zum Beispiel: Um 19 Uhr packst du deine Bühnenschuhe aus, dann ziehst du dich um, nach dem Warmsingen hast du noch 50 Minuten.

Gibt es einen Moment, wo auf der Bühne die Nervosität abfällt?

Typisch ist: Nach zwei, drei Nummern hast du mit Müdigkeit zu kämpfen. Wenn das ausgeschaltet ist, dann läuft es. Wenn der Schiedsrichter anpfeift, geht das Spiel los und das Publikum will sehen, dass du dich bemühst. Es ist egal, ob der Ball mal in die Ränge fliegt. Hauptsache, du kämpfst.

Ist es heikel, wenn Fans auf die Bühne kommen?

Das finde ich nicht kritisch, wenn sie sich an die unausgesprochenen Regeln halten. Es gibt aber immer wieder Trottel, die meinen, sie müssen da eine Viertelstunde rumlaufen. Da fängt es irgendwann an, die Leute zu nerven, die die Show sehen wollen. Den muss man dazu bringen, dass er wieder runterspringt. Das hat etwas mit Fingerspitzengefühl zu tun. Wer raufkommt, sollte auch die sportliche Qualifikation mitbringen, da einen Rittberger hinzulegen.

Wie ist denn der Moment, wenn Sie in die Masse springen?

Ich empfinde das nicht als etwas wahnsinnig Tolles. Für mich geht es darum, mit einer relativ hilflosen Geste auszudrücken, dass ich mich mit den Menschen auf Augenhöhe sehe. Dass sie nicht denken, ich werde im Wagen vorgefahren, und verlasse dann wieder die Halle, ohne geistig und körperlich wirklich dagewesen zu sein. Es ist auch ein Zeichen, dass ich den Leuten vertraue.

Was ist der Unterschied beim argentinischen Publikum?

Die Leute sind körperlicher. Ein ruppiger Abend in Südamerika ist etwas ganz Unangenehmes. Ein fantastischer Abend dagegen ist genial. Die Leute singen alles mit, sogar jedes Gitarrensolo.

Wie kommt man mit der Euphorie nach der Show klar?

Manchmal ist man so müde, dass man kein Problem hat, um zwei oder drei Uhr einzuschlafen. Manchmal bin ich die ganze Nacht aufgekratzt. Dann lese ich ein Buch und der Fernseher flimmert im Hintergrund. Da schlafe ich erst in den frühen Morgenstunden ein und versuche später am Tag, mir den Schlaf im Bus zu holen. Nach den Konzerten kommt man sich oft viel fitter vor, als man eigentlich ist, weil man gerade diesen Berg voller Anstrengungen hinter sich gelassen hat. Da muss man aufpassen, dass man nicht überzieht und ein Glas Wein zu viel trinkt.

Das hat man doch nach all den Jahren im Griff?

Es ist besser geworden. In Krakau hatten wir eine gute Gelegenheit, mit der Crew zusammenzusitzen. Das ging sehr lang an der Hotelbar. Wir haben viel gelacht, aber ich hätte zwei Stunden früher im Bett sein sollen.

Wurdet ihr zu den bundesrepublikanischen Feierlichkeiten eingeladen?

Wir sind nach Berlin eingeladen worden. Geht sich aber zeitlich mit unserem Terminplan nicht aus.

Christian Jooß

Live 12.8. Übersee/Chiemsee

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