Mein Bruder, der Liebhaber

Kammerspiele: Erst ein Affenzirkus, aber am Ende gelingt es Regisseurin Julie Van den Berghe dem Beziehungsdrama „Agatha” von Marguerite Duras Faszination und Erotik zu geben
Gabriella Lorenz |
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Zwei Geschwister, eine Liebe: Das hat Marguerite Duras selbst erlebt und inspiriert von Musils „Mann ohne Eigenschaften” 1981 zu dem Drehbuch „Agatha” verarbeitet. Agatha und ihr namenloser Bruder treffen sich nach Jahren nochmal in der Sommer-Villa, wo sie als Jugendliche ihre Liebe entdeckten. Julie Van den Berghe, Duras-Fan und Regisseurin am NT Gent, hat diesen Duras-Text als ihr Münchner Regie-Debüt an den Kammerspielen inszeniert. Mit Stefan Merki und Katja Bürkle schafft sie in der Spielhalle eine flirrende Wehmuts-Stimmung, die allerdings erst im letzten Drittel überzeugt.

Die Villa am Meer als Ruine

Das Bühnenbild von André Joosten dagegen überzeugt von Anfang an: Die Villa am Meer ist eine Ruinen-Baustelle. Sand frisst sich ins Innere, draußen muss man über Abgründe balancieren. Eine leere Fensterfront hängt in der Luft, eine Treppe liegt horizontal auf dem Boden.

Auf der verirrten Stranddüne spielen Agatha und ihr Bruder nochmal die Kinderspiele jenes Sommers nach, in dem sie sich und ihre Begierden erkannten. Nun geht es um den endgültigen Abschied von einer unlebbaren Liebe.

Inzestuös, amourös

Julie Van den Berghe kreiert einen Schwebezustand zwischen Erinnerung und Heute, den der Jazzpianist Harpo ’t Hart und Bassklarinettist Ulrich Wangenheim live in Nostalgie einbetten.
Katja Bürkle schlüpft in ein Kinderkleid, Stefan Merki hat vorher für sie die Schaukel repariert. Die Texte kommen zunächst wie von weither: Die Off-Stimmen (Hildegard Schmahl und Walter Hess) unterlaufen wie der Live-Ton der Schauspieler das elegische Schmerzpathos von Duras.

Begierde ohne Peinlichkeit

Doch zunächst herrscht eine überlange Stunde nervtötender Aktionismus: Ständig rennen Bürkle und Merki hochleistungssportlich voreinander weg, erklettern Galerien, turnen irgendwo herum.
Erst im letzen Drittel finden sich Bilder von poetischer Wucht. Da setzt sich Julie Van den Berghe über Duras’ Regie-Anweisungen – keine Blicke, keine Berührungen – hinweg. Zärtlich wiegt der Bruder seine Schwester im Waschzuber, in dem sie fast nackt liegt, in den Armen. Und wenn Gilbert Bécaud singt „Je reviens te chercher”, wird aus dem Tanz der beiden eine Explosion des Verlangens, ein Ausbruch der Begierde ohne jegliche Peinlichkeit.

Julie Van den Berghe beweist einen eigenwilligen Regie-Zugriff auf diese morbide Nabelschau. Sie hatte Glück mit ihren Schauspielern. Stefan Merkis selbstverständliche, nie auftrumpfende Präsenz fängt auch die anfänglichen Forciertheiten einer dann sehr starken Katja Bürkle auf.

Kammerspiele, Spielhalle,  bis 2. Mai, Tel. 233 966 00

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