Mehr Fantasie wagen!
Opernritual im Advent:„Hänsel und Gretel“ im Gärtnerplatz- theater
Die alle Jahre wiederkehrende Inszenierung im Nationaltheater hat 44 Jährchen auf dem Buckel. Da ist die Aufführung am Gärtnerplatz geradezu ein Jungspund: Peter Kertz inszenierte Humperdincks Märchenoper, als US-Präsident Richard Nixon zurücktrat und Helmut Schmidt Kanzler wurde.
Das war 1974. Seitdem hat Münchens Zweit-Oper das hübschere Lebkuchenhaus. Man sitzt näher am Geschehen. Der patente Kinderchor geht nicht im Orchester unter. Ann-Kathrin Naidu ist ein idealer Hänsel und allerliebst wie Thérèse Vincents lyrische Gretel. Zu Gary Martins Besenbinder wäre höchstens kritisch anzumerken, dass er den Kümmeltrinker stark herauskehrt.
Neues täte gut
Aber, Hand aufs Herz: Streicheln beide Aufführungen von „Hänsel und Gretel“ nicht eher erwachsene Kinderseelen? Die 8-jährige Louisa fand den Tanz der Hexe und ihrer Dämonen „cool“. Den Rest des Abends langweilte sie sich, weil man trotz sich mühender Sänger nicht viel verstand. Darunter leidet die Hexenszene mit der keifenden Snejinka Avramova, die gar keine verführerische Süße drauf hat.
Das würde nicht stören, wenn mit dem Bühnenzauber gekargt würde. Im stockfinsteren Abendsegen vermisste Louisa die Rauschgoldengelpracht des Nationaltheaters, die ihr letztes Jahr besonders gefiel. Schade auch, dass sich die Pausengastronomie kaum auf Kinder einstellt und das vom vorigen Intendanten hinterlassene Programmheft nichts enthält, was junge Leser interessieren könnte.
Auf die Gefahr, gesteinigt zu werden: Neues täte gut. Es gibt aktuelle Inszenierungen dieser Oper, mit denen Kinder viel anfangen können, wenn man sie mit ihnen anschaut: Die von Richard Jones aus New York wäre eine (DVD bei EMI).
Robert Braunmüller
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