Madame Maybe und die wilde 13

Morgen beginnt in Kassel die weltweit wichtigste Schau zur Gegenwartskunst. Peinlichste Performerin dieser dreizehnten documenta ist ihre Chefin Carolyn Christov-Bakargiev – dennoch wurde vieles gut
von  Christa Sigg

Morgen beginnt in Kassel die wichtigste Schau zur Gegenwartskunst. Peinlichste Performerin dieser dreizehnten documenta ist ihre Chefin Carolyn Christov-Bakargiev – dennoch wurde vieles gut

Nein, das ist nicht schön. Fast vier Jahre lang hat Carolyn Christov-Bakargiev auf diese Wahnsinnsschau hingearbeitet, ständig ist sie um die Welt gejettet, mit Hunderten von Künstlern, Wissenschaftlern und Politaktivisten hat sie diskutiert, tiefschürfende Aufsätze geschrieben, sogar einen 37 Tonnen schweren Meteoriten wollte sie aus Argentinien nach Kassel holen, eine Stunde lang hat sie auf der Pressekonferenz im Gewurl ihrer Lockenpracht referiert, gegen unser anthropozentrisches Denken gewettert, den Skeptizismus in den höchsten Tönen gepriesen, Adorno zitiert, also eine unbeschreibliche Performance abgeliefert – und jetzt das! Die Journalisten stellen unbequeme Fragen. Ein höflich formulierender Brite findet das Ganze auch noch „konfus und ungebildet”.

Doch die schrille documenta-Chefin kann sich wehren – „Ich wusste gar nicht, dass auch Sportjournalisten in der Pressekonferenz sind” –, um den Saal endgültig aufzuheizen. Es hätte zum Knall kommen müssen, aber da ist die global agierende Ausstellungsmacherin dann doch zu erfahren. Das Ganze endet rapide, die aufatmende Meute ist gekommen, um Kunst oder was auch immer von 150 Protagonisten zu sehen. Deshalb setzt CCB, wie sie in Kassel der Einfachheit halber genannt wird, schnell wieder ihr umwerfendes Lächeln auf und empfiehlt noch wohlmeinend, ein Leihfahrrad zu nehmen.

Gängige Vorstellungen von Kunst versenkt man am besten in der Fulda

Das braucht man tatsächlich. Oder zumindest Ausdauer, denn die documenta ist auf 31 Schauplätze angewachsen. Von den üblichen Räumlichkeiten bis zum Kino oder Kloster. Mal davon abgesehen, dass es auch Ableger in Kabul, Kairo und im kanadischen Banff gibt (was Haus-der-Kunst-Direktor Enwezor mit seiner documenta 11 längst vorgemacht hat). Und was das „Konfuse” betrifft, darf man Mrs. Maybe – CCBs Lieblingsvokabel ist „vielleicht” – an die eigenen verschwurbelten Worte erinnern: Ihre Ausstellung, sagt sie, sei wie Salatsauce. Was sich in den Herzkammern der documenta als interessanter, anziehender und anregender erweist, als Ceal Floyers über ein Mikrophon appetitlich durch den Saal knackende Nägelkau-Performance im Kasseler Kongresspalais.

Man darf sich nur nicht vom Luftzug (der Beitrag des Briten Ryan Ganders) im Erdgeschoss des Fridericianums gleich wieder hinausblasen lassen und sollte gängige Kunstbegriffe einfach in der Fulda versenken. Dann bleibt man auch am „Doppelspaltexperiment“ des Quantenphysikers Anton Zeilinger hängen, das auf der zweiten Ebene eine sichere Verschlüsselung von Daten verheißt. Und dann sinniert man über den Hintergrund der feinsäuberlichen Zeichnungen des Dachauer „Apfelpfarrers“ und Nazikritikers Korbinian Aigner oder vor einem Aquarium mit fünf Axolottls, die in einer Rundum-Installation für das Umweltdesaster im mexikanischen Chalco-See stehen.

Puristisch Orientierte finden ein paar Takte Arte Povera von zum Teil bereits verstorbenen Künstlern. Und man stößt auch sonst auf überzeugende Positionen. Etwa in den Weiten der traumhaften Karlsaue, wo 30 Werke in beruhigendes Grün gebettet sind: das Schafott des Amerikaners Sam Durant oder Song Dongs Erdhügel vor der Orangerie. Auf die Prinzipalin samt Malteserzottel wird man dort kaum treffen, auch an ihren schriftlichen Herzensergießungen kommt man vorbei. Nur ihr peinlicher Hundekalender verfolgt uns bis nach München. 

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