"Die Zofen": Machtspiele im Volkstheater
Claire und Solange allein zu Haus. Wenn die Gnädige Frau unterwegs ist, spielen die Dienstmädchen die Dame des Hauses. Sie plündern den üppig mit Haute Couture gefüllten Kleiderschrank, und heute ist es Claire, die die Rolle der Herrin übernimmt. Zu diesem Spiel gehören auch der Hochmut und die schmerzhaften Demütigungen, mit denen die Schöne und Reiche über ihre Domestiken herrscht.
Mit dem Klassenkampf-Klassiker "Die Zofen" von Jean Genet eröffnete das Volkstheater die Saison buchstäblich glänzend: Bühnenbildnerin Jessica Rockstroh stülpte das kostbare Silber, auf das die Gnädige Frau so stolz ist, aus den Schubladen und Schmuckkästchen nach außen. Das Ergebnis ist spektakulär, denn der ganze Raum blitzt und strahlt. Links und rechts führen Showtreppen nach oben, in der Mitte glitzert ein altmodisches Karussell mit drei Pferden.
So ist dieser von einem mondänen Vorhang gerahmte Spielplatz auch ein Spiegelkabinett, in dem sich die Eitelkeiten, Bosheiten, Sehnsüchte, Illusionen, Träume und vor allem die Alpträume derer, die diesen Ort betreten, betrachten lassen. Schon Jean Genet verachtete am Theater seiner Epoche den die Wirklichkeit nur nachahmenden Naturalismus, der sich nun in diesem klirrend kalt glänzenden Rummelplatz mit Sicherheit nicht einstellen kann. Regisseurin Lucia Bihler erfüllt eine weitere Forderung des Autoren, an die sich allerdings schon Louis Jouvet bei der Uraufführung 1947 in Paris nicht hielt: Alle drei Frauen werden von Männern gespielt. In den vielen Inszenierungen der "Zofen", die in den letzten Jahrzehnten weltweit folgten, waren rein männliche Casts die Ausnahme. In dem komplexen, nicht zuletzt auch homoerotisch aufgeladenen Beziehungsgeflecht, in dem die beiden Schwestern im Angestelltenverhältnis und ihre Chefin sich bewegen, haben geschlechtliche Zuweisungen jedoch keine Bedeutung. Es geht um Irritation und um das Rollenspiel im Spiel. Dieser großbürgerliche Haushalt mit seinem Personal ist eine allgemeine und immerwährend gültige Metapher für Gesellschaften mit einem Oben und einem Unten einschließlich der Hoffnung derer, die unten in den Kellerwohnungen hausen, es eines Tages in die Bel Étage zu schaffen. Doch die Intrige, die Claire und Solange zunächst erfolgreich einfädeln und die den Gnädigen Herrn ins Gefängnis bringt, war kein Akt der Auflehnung. In ihrer Wunschwelt träumten sie sich den Hausherrn als verwegenen Verbrecher zurecht.
Der gleichfalls so oft erträumte Mord an Madame muss unbedingt jetzt in die Tat umgesetzt werden, nachdem es wahrscheinlich wird, dass die Zofen als anonyme Verleumderinnen auffliegen. Genet, der unter anderem wegen seiner Desertion aus den französischen Kolonien, Landstreicherei und Bücherdiebstahl mehrfach zu Haftstrafen verurteilt worden ist, ist nicht nur ungnädiger Sozialkritiker, sondern beschreibt auch die Faszination des Verbrechens und "die Schönheit des Mordens".
Solche Abstiege ins Morbide und in die No-Go-Areas der menschlichen Seele unternimmt Lucia Bihler nicht, sondern entfaltet mit überraschender Lässigkeit das Komödiantische des tragödisch umflorten Einakters. Das Weibliche im männlichen Schauspieler zu entdecken ist hier eindrucksvoll gelungen. Alles Parodistische ist gerade so weit getrieben, dass nichts Tuntiges unterläuft und auch Charleys Tante draußen bleiben muss.
Jakob Immervoll als Claire und Lukas Darnstädt als Solange, ob im kleinen Schwarzweißen der mit Staubwedeln wedelnden Hausangestellten oder in der eleganten Robe der Arbeitgeberin (Kostüme: Leonie Falke), sind wirklich komisch einschließlich aller Tragik, die immer Teil des Komischen ist. Der erste Höhepunkt der beginnenden Theatersaison aber ist der Auftritt von Silas Breiding als die Gnädige Frau.
Wie ihre Zofen vom sozialen Aufstieg träumen, hat sie offenbar eine Sehnsucht nach glamouröser Show mit ihr im Mittelpunkt. Breiding ist nicht nur die Diva mit starkem Gesang, sondern beherrscht auch in schwindelnder Höhe die Akrobatik an der Vertikalstange als wäre sie - beziehungsweise er - Helene Fischer. Das Premierenpublikum feierte die Pole-Dance-Nummer mit Szenenapplaus.
Ebenso spannend wie screwballhaft ist der Tanz um den Lindenblütentee. Das vergiftete Heißgetränk wird während des gesamten Showdowns von der einen zur anderen gereicht, ohne dass die Gnädige Frau endlich davon trinken würde. Zum Skandal wie in ihrer Entstehungszeit nach dem Krieg taugen "Die Zofen" zwar nicht mehr, aber der Gute-Laune-Genet im Volkstheater ist ein intelligent zubereitetes Schauspielerfest für drei.
Volkstheater, 4., 5., 22. Oktober, 1., 3. November, 2. Dezember, 19.30 Uhr, % 5234655
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