Macht, Rausch und Verführung
Starkes Thema, unfertige Skizze: Alexander Nerlich inszenierte das Theaterstück „Daddy“ von Anne Habermehl im Marstall
Eine zerbrochene Familie, eine ruinierte Ehe, ein Junge, der sich prostituiert: Jeder sucht Liebe, aber keiner findet sie in dem Stück „Daddy“ der 28-jährigen Autorin Anne Habermehl, das im Marstall zur Uraufführung kam. Alexander Nerlich inszenierte die Beziehungsunfähigkeit überzeugend, Felix Klare spielt die Hauptrolle des narzisstischen Strichjungen mit Bravour. Anhaltender Applaus für das Ensemble.
Der Daddy, das ist der Vater, der seinen Kindern immer gefehlt hat. Deswegen sind Marco und Jenny vor zwei Jahren abgehauen. Der 16-Jährige macht Stricherkarriere, die 23-jährige Analphabetin bemuttert ihn und mogelt sich irgendwie durch. Als Vater Pit (Hannes Liebmann) wieder auftaucht und Familie spielen will, schwankt Jenny zwischen Wut und Zuneigung. Sehr glaubhaft spielt Anne Schäfer die neurotische Verkrampfung einer zutiefst verstörten jungen Frau.
Der vervielfältigte Einzelfall
Daddys sind aber auch die Freier Marcos. Der bringt mit seiner Schönheit den verheirateten Architekten Julian (blass: Dirk Ossig) um den Verstand – er will Marco für sich allein. Doch der Junge kennt seinen Marktwert und nimmt Julian skrupellos aus. Felix Klare zeigt ohne jede Peinlichkeit Marcos Narzissmus, den berechnenden Verführungs-Einsatz seines Körpers, die Berauschung an Bestätigung und schnellem Geld. Der verspiegelte Guckkasten (Bühne, Kostüme: Christian Sedelmayer) vervielfältigt den Einzelfall ins Gesellschaftliche.
Verzweifelt ist Julians Frau Silvie (Christina Scholz-Bock changiert zwischen Coolness und Hysterie), eine frustrierte Lehrerin, die ihre verhassten Schüler am liebsten abknallen möchte und sehnlichst ein Kind will. Gluckenhaft fürsorglich dient sie sich Marco und Jenny als Ersatzmutter an.
Ein starkes Thema, aber als Stück eine unfertige Skizze. Die Dialogszenen führen Machtkämpfe vor, Selbstbetrug, Kommunikationsunfähigkeit, Buhlen um Zuneigung und Hilflosigkeit, die in Gewalt umschlägt. Zum Glück hat Regisseur Nerlich die vielen Kriegsanspielungen reduziert; das Gewehr, mit dem Habermehl Marco gegen Ende herumfuchteln lässt, taucht nur als Blitzvision auf. Doch der offene Schluss lässt einen ratlos.
Gabriella Lorenz
Marstall, 24. Juni, 2., 15., 28., 29. Juli, 20 Uhr, Tel. 2185 1940
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