Ludwig Thoma: Satire, Rührstück und Hetze
Der Warnruf kam früh. Der neue Mitarbeiter für das Münchner Satireblatt "Simplicissimus" sei sehr einseitig, ein Antisemit, ein Sturkopf und literarisch ein "Nachtwächter", der "alles für Dreck" halte, "was ein Frauenzimmer geschrieben" habe. Für den "Simplicissimus" sei er "gar zu ‚krachledern'". So der Informant Korfiz Holm im September 1899 an den Verleger Albert Langen. Der aber stellte den Neuen gerade deshalb umgehend ein.
Ludwig Thoma: Pseudonym Peter Schlemihl
Der 32-jährige Rechtsanwalt Ludwig Thoma aus Oberammergau übernahm im "Simplicissimus" unter dem Pseudonym Peter Schlemihl das politische Gedicht und wurde als Rabauke zu einer festen Größe mit hohen Auflagen. Tabubruch und Provokation sind Thomas Stilmittel. Sie bringen ihm 1905 eine Anklage empörter "Sittlichkeitsprediger in Köln am Rheine" und eine sechsmonatige Haft in Stadelheim ein. Die lyrische Giftspritze findet bei Thoma aber zwei Gegenstücke. Er ist der einfühlsame, unbestechliche Erzähler, der Land und Leute erstmals 1897 in den Bauerngeschichten "Agricola" vorführt.
Diese "sinnfälligen Beispiele" (Oskar Maria Graf) werden noch heute gelesen und geschätzt. Thoma ist freilich auch der verbitterte Lyriker, der sich mitten im Ersten Weltkrieg in das in oberbayerischer Mundart gehaltene Winteridyll der "Heiligen Nacht" verkriecht.
Thomas drittes Talent ist der Dramatiker. Seine "Lokalbahn" (1901) bezeichnet er als "Satire auf die politische Charakterlosigkeit unseres Bürgertums und auf die Phrasendrescherei". Dank dieses Erfolgsstücks kann er sich später sein eigenes Haus auf der Tuften oberhalb von Rottach am Tegernsee bauen lassen. Besonders gut kommt Thoma lange Zeit mit seinen "Lausbubengeschichten" an, deren Streiche gegen Heuchelei und Doppelmoral heute freilich reichlich abgestanden wirken. Der grantelnde "Münchner im Himmel" (1911) scheint dagegen unverwüstlich.
Tragischer Ernst und polternde Frechheit liegen bei Thoma nahe beieinander. So zeigt der Roman "Andreas Vöst" (1906) einen Bauern im Kampf auf verlorenem Posten gegen einen korrumpierten Klerus, bei dem religiöse Sitten und Gebräuche sich über geltendes Recht hinwegsetzen. Auf der anderen Seite steht der naiv-verschlagene bayerische Landtagsabgeordnete Josef Filser, dessen "Briefwexel" in den anzüglichen Partien mittlerweile allerdings mehr peinlich als lustig wirkt.
Zwei Lieben im Leben des Ludwig Thoma
Schiffbruch erlebt Ludwig Thoma mit den zwei großen Lieben seines Lebens. Die erste hieß Marietta, bürgerlich Maria Schulz, geboren 1880 auf den Philippinen als Maria Trinidad de la Rosa, gestorben 1966 als Marion Thoma in München. Die Tänzerin ist verheiratet mit dem Berliner Schriftsteller und Komponisten Georg David Schulz und tritt in dessen Kabarett "Poetenbänkel" auf. In Liebe entflammt, setzt Thoma alles daran, diese Frau für sich zu gewinnen. Er entführt sie aus Berlin, bietet dem Ehemann 15.000 Mark für die Scheidung und kauft den Grund für das gemeinsame Haus bei Rottach. Thoma heiratet seine Marion im März 1907 und zieht mit ihr in das neue Haus. Seiner Frau richtet er ein eigenes Biedermeier-Zimmer ein, das es noch heute gibt; alles scheint wohl geordnet.
Doch die schöne Marion fühlt sich im goldenen Käfig eingesperrt. Bald bricht sie die Ehe. Thoma trennt sich von ihr, Ludwig Ganghofer kann seinem Freund ein Duell mit dem Nebenbuhler gerade noch ausreden. Die Zeit der freien Art, des Erfolgs und des Glücks, so Thoma selbst in seinen "Erinnerungen", ist zu Ende. Er schreibt den Bauernroman "Der Wittiber" (1911) vor dem Hintergrund seiner gescheiterten Ehe, entwirft das Volksstück "Maria Magdalena" (1912) und dreht im Ersten Weltkrieg den frechen "Simplicissimus" zu einem krassen Hetzblatt um.
Von Sanitätseinsätzen an der West- und der Ostfront kommt Thoma 1915 krank zurück und verfasst seine "Erinnerungen" (1919). In Berlin traut der Satiriker-Kollege Kurt Tucholsky seinen Augen nicht: "Welch ein Spießer!" Thoma wird immer reaktionärer. Er tritt der Deutschen Vaterlandspartei bei und rechtfertigt seinen Schritt später als Protest gegen "die sinnlose Zerstörung" seiner vertrauten Welt.
Seine zweite große Liebe bleibt unerfüllt. Maria (Maidi) von Liebermann (1884-1971) kann sich nicht zur Ehe mit ihm entschließen. In dieser mehrfachen Endzeit fängt Thoma "an zu poltern und zu raunzen" (Oskar Maria Graf). Im letzten Roman "Der Ruepp" (1922) wird der Hof eines Meineidbauern zum Symbol für das verkommene Deutschland.
Dann aber brechen alle Dämme. Zwischen Juli 1920 und August 1921 veröffentlicht Ludwig Thoma anonym seine folgenschweren, hasserfüllten antipreußischen, vor allem aber antisemitischen und präfaschistischen Hetzartikel im "Miesbacher Anzeiger". Kurt Tucholsky, dem die Angriffe ebenso persönlich gelten wie seiner Zeitschrift "Die Weltbühne" entlarvt den Autor und zieht Bilanz: "Lang, lang ists her. Der ‚Simplicissimus' ist tot, Thoma lebt in der Nähe ländlicher Sauställe, und ein Witzblatt von Gesinnung haben wir nicht mehr." Thoma selbst stritt ab, die Hetzartikel geschrieben zu haben. Das Geheimnis blieb offen. Auch Lion Feuchtwangers Hinweis auf Thomas Autorschaft im Schlüsselroman "Erfolg" (1930) änderte daran nichts.
Am Friedhof gleich neben Ludwig Ganghofer begraben
Der biestig verbitterte Satiriker starb am 26. August 1921 im Alter von 54 Jahren in seinem Tegernseer Haus an Magenkrebs und erhielt auf dem Friedhof von Rottach-Egern ein Grab gleich neben Ludwig Ganghofer. Der Nachruhm des "bayerischen Heimatdichters" hielt lange an. Die Haupterbin Maidi von Liebermann überlebte den Freund um 50 Jahre und vermachte Haus und Nachlass der Stadt München.
Fast 70 Jahre blieb Ludwig Thoma in München unbehelligt. Seit 1947 gibt es eine Ludwig-Thoma-Straße in Pasing, eine Büste in der Ruhmeshalle kam 1972 dazu. Als aber die Autorschaft an den Hetzartikeln 1989 eindeutig feststand, änderte sich alles. Die literarische Galionsfigur der Landeshauptstadt fiel in Ungnade.
Eine in seinem Namen 1967 gestiftete Medaille wird seit 1990 nicht mehr verliehen, nachdem Dieter Hildebrandt seine Medaille zurückgegeben hatte. Den Hausheiligen im Literaturarchiv Monacensia stürzten, im Hinblick auf die Nutzerzahlen, die Mann-Kinder Erika und Klaus vom Thron. Ludwig Thoma gilt heute in München als Tabu.
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