Lisa im Wunderwerk
Lassen Sie uns diese Kritik mit ein wenig Lüsternheit beginnen. Was im Film „Satansbraten“ nur ein kurzer Blick ins Badezimmer ist, wird in den Kammerspielen zum ausgedehnten Voyeurs-Moment in einer rot gefliesten Hygiene-Zone, darin die umwerfende Brigitte Hobmeier, jener Frau, mit der Rainer Werner Fassbinder gewiss Filme drehen würde, wenn er noch unter den Lebenden weilte.
Also: Die Hobmeier juckt sich vor dem Spiegel am Hintern und in den Haaren, wie es auch Ingrid Caven im Film tat. Aber das Kratzen zieht sich in die Länge, die Realität verzerrt sich. Die Magie der schnellen Schnitte gibt es im Theater nur unter Anstrengung. Dafür kann es damit wuchern, dass die Darsteller vor uns stehen – und gnadenlos gut spielen.
Die exakte Bühnenkopie eines Films kann diesem eigentlich nur verzweifelt hinterherhecheln. Stefan Pucher und sein Team verfolgen dennoch diese irrsinnige Idee bei ihrer Adaption von Fassbinders Film von 1976 und überflügeln geschickt jene Steine, die sie sich selbst in den Weg räumen. Da dividieren sie auch mal auseinander, was im Film gleichzeitig läuft: Die Songs zur Bildunterlegung werden hier einfach eigens als Nummern gesungen – schön. [/INI_3]Und Stéphane Laimé hat ein wandelbares Wunderwerk an Bühne eingerichtet: Ein bürgerliches Interieur kann durch einen mobilen Container, auf dessen Wände innen live gefilmte Videos projiziert werden, durch eine herabfahrbare Villenfassade oder eine Spiraltreppe ergänzt und verwandelt werden. Zack-zack.
„Geld, Geld, Geld“, presst Kranz hervor, „da, da, da“ – im Wiederholen der Worte entlädt sich der Überdruck, mit dem das Blut durch die Adern der Fassbinder-Bürger zischt. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Wolfgang Pregler sich die Performance von Kurt Raab bis zum letzten Tropfen eingesaugt hat, um als Raabs einzigartige Kopie den linken Dichter Kranz in seinem ganzen Wahnwitz auf die Bühne zu wuppen. Fassbinder spielt mit dieser Figur die Identitätssuche des lächerlich um sich kreisenden Künstlers durch: Seine Schreibkrise überwindet Kranz zwar, legt aber nur ein Plagiat von Stefan Georges „Albatros“ vor, woraufhin er sich für den wiedergeborenen George hält und gar dessen Schwul-Sein ausprobiert.
Mit überragender Verve üben sich die fünf Hauptdarsteller am Imitieren der Fassbinder-Truppe. Walters Bruder Ernst hat Volker Spengler im Film als Fliegen sammelnden Spinner verkörpert, ein kindlicher Spiegel der sadomasochistischen Familienstrukturen – Thomas Schmauser tut’s ihm unerhört komisch gleich. Und Annette Paulmann lässt die mütterliche Bärbeißigkeit von Walters Frau Luise hübsch und traurig in die Krankheitsschwäche übergehen.
Und dann Brigitte Hobmeier: Sie spielt sowohl Kranzens Muse Lisa als auch die dickbebrillte Verehrerin Andrée. Der Wechsel von der Unnahbaren zur Unterwürfigen ist für sie ein Klacks. Genauso gekonnt springen Edmund Telgenkämper und Genija Rykova – wahrhaft eine Entdeckung! – von Rolle zu Rolle. So gelingt das Fassbinder-Cover tempo- und ideenreich. Statt mit dem letzten Filmbild des Fliegenfreunds Ernst endet die außerordentlich umjubelte Inszenierung mit einem trockenen „Danke“. Das hätte aber wohl auch Fassbinder nicht gejuckt.
Kammerspiele, 24.3., 28.3., 9.4., 25.4., 20 Uhr, Tel. 233 966 00
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