Liebe und Machtkampf
Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ vermenschlicht die Götter und ihre Begierden. In Johanna Schalls Inszenierung ist die Operette ab heute wieder im Gärtnerplatztheater zu sehen
Als Vorspiel zu einem Abendessen mit Schampus und Zigarren amüsierte sich Bertolt Brecht an Silvester 1919 über „Orpheus in der Unterwelt“. Sonst hinterließ Offenbach kaum Spuren im Leben und Schaffen des Klassikers. Seine Enkelin inszeniert nun die Operette am Gärtnerplatz.
AZ: Frau Schall, nervt Sie das Etikett der Brecht-Enkelin?
JOHANNA SCHALL: Sie sind doch auch jemandes Enkel. Was bedeutet Ihr Großvater für Sie? Hinter dieser Frage steckt ein vages Gemisch aus genetischen Wunschträumen und Vorurteilen. Brecht starb 1956, ich bin 1958 geboren. Wir haben uns leider verpasst. Als Dichter ist er für mich so vorhanden wie für jeden, der am Theater arbeitet.
Immerhin arbeiten Sie in der gleichen Branche.
Ich kann aber ums Verrecken nicht schreiben.
Aber inszenieren.
Ich hoffe es. Ich habe schon einige Operetten mit Schauspielern inszeniert, aber „Orpheus in der Unterwelt“ ist mein erstes Stück mit Sängern, Orchester und Chor. Aber ich hatte Glück: Das Gärtnerplatz-Ensemble ist sehr spielfreudig und offen für eine Anfängerin wie mich.
Die Massen ängstigen viele Ihrer Schauspiel-Kollegen.
Ich mag es, wenn die Bühne voll ist. Natürlich ist der Chor ungewohnt, weil man sonst individuell arbeitet. Aber ich finde es interessant, wie die Masse in dieser Operette mit der Geschichte ständig ihre Meinung ändert.
1858 war die Parodie des Orpheus-Mythos’ eine Provokation. Trifft sie noch?
Das ist ohnehin nicht die Aufgabenstellung des Theaters. Die Antiken-Parodie halte ich auch nicht für den Kern von „Orpheus in der Unterwelt“.
Worum geht es dann?
Die Operette ist eine der künstlichsten Gattungen überhaupt. Ihr wurde jede Natürlichkeit ausgetrieben. Trotzdem erzählt sie von der Wirklichkeit. Offenbach benutzt unser gut verdautes Bild romantischer Gefühle und verbindet es in härtester Form mit einem Machtkampf. Die Operette hat auch kein Happy End: Eurydike ist in Pluto verliebt. Der ist jedoch zu sehr mit seinem Kampf gegen Jupiter beschäftigt. Auch er verführt sie, lässt sie aber gleich wieder fallen. Das Stück erzählt, dass Macht wichiger ist als Liebe. Dazu erklingt eine im besten Sinn süße Musik, die ganz unverschämt zwischen den Genres springt.
Haben Sie den Text aktualisiert?
Nein. Ich verwende eine neue Übersetzung, um die Geschichte schärfer, bösartiger und leichter zu kriegen. Aber Sie werden nichts über die CSU erfahren. Für Gegenwärtigkeit braucht dieses Stück kein Kabarett.
Was inszenieren Sie als Nächstes?
Brechts „Courage“. Aber ohne Wagen.
Robert Braunmüller
Premiere heute, 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen am 14., 20. und 23. 2. sowie im März. Karten unter Tel. 21 85 19 60
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