Liebe kennt keine Saison

Schriftsteller Martin Walser über die zweite – und diesmal sehr gelungene – Verfilmung seiner Novelle „Ein fliehendes Pferd“
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Schriftsteller Martin Walser über die zweite – und diesmal sehr gelungene – Verfilmung seiner Novelle „Ein fliehendes Pferd“

Das Ehepaar Halm (Ulrich Noethen und Katja Riemann) verbringt seit zwölf Jahren die Ferien am Bodensee, es knistert schon lange nicht mehr in der Beziehung. Die zufällige Begegnung mit dem lebenslustigen Schulfreund des Mannes (Ulrich Tukur) und seiner erotischen Begleiterin (Peter Schmidt-Schaller) mischt die Halms emotional gehörig auf. Martin Walsers in 27 Sprachen übersetzte Erfolgsnovelle wird unter der Regie des Münchner Filmemachers Rainer Kaufmann zum tragikomischen Beziehungskampf mit höchstem Unterhaltungswert. Der 1927 in Wasserburg am Bodensee geborene Schriftsteller gehört seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten deutschen Autoren.

AZ: Herr Walser, ist die Ehe-Problematik in Ihrer Novelle „Ein fliehendes Pferd“ aus dem Jahr 1978 nicht etwas angejahrt?

MARTIN WALSER: So kann nur jemand fragen, der aus einem Tagesschlachtfeldgewerbe kommt. Liebe und Leiden sind nicht wie die Rocklänge saisonabhängig. Es ist grotesk zu behaupten, dass eine Liebesgeschichte nach 30 Jahren „angejahrt“ sein soll. Für dieses Wort könnte ich Ihnen eine überziehen.

Ehen aber werden heute wesentlich schneller geschieden als vor 30 Jahren – steht die Ehe der Halms auf dem Spiel?

Nein, in dieser Deutung erkenne ich meine Novelle nicht wieder. Die Beziehung der Halms kann zwar aktuell ungeheuer gestört werden durch eine jüngere Frau, aber sie ist nie gefährdet als Beziehung. Die gesellschaftlichen Umstände verändern wahres Liebe, Leiden und wahre Sehnsucht nicht.

Der Film besticht durch die Ensembleleistung. Haben Sie auf die Besetzung Einfluss genommen?

Nein, überhaupt nicht. Aber als ich die Novelle Ende der 70er geschrieben habe, war ich sehr kinogängerisch eingestellt. Und ich habe mir damals eine Besetzung vorgestellt mit amerikanischen Schauspielern: Henry Fonda und Doris Day als Ehepaar Halm, Richard Widmark als Klaus Buch.

Und wer sollte als junge Bedrohung in die Eheflaute der Halms einbrechen?

Dazu hatte ich vor meinem inneren Auge Gesichter ad libitum. Aber als ich letztes Jahr die Verfilmung gesehen habe, war ich baff: Widmark ist doch Tukur und Fonda – das ist Noethen. Die Besetzung ist phänomenal.

Das tragische Thema wird mit erstaunlicher Leichtigkeit inszeniert.

Ich habe auch damals immer so gelesen, dass das Publikum lachen konnte. Die humoristische Komponente des Buches hat der Regisseur ungeheuer toll umgesetzt. Er macht etwas, was die Sprache gar nicht hergeben kann: Er lässt die Gesichter der Schauspieler erzählen – mit Blicken und Gegenschnitten. Noethen kann so glaubhaft leiden. Da muss die Person bei mir im Buch eine Seite monologisieren und dem Noethen gelingt das mit einem Gesichtsausdruck.

Sie als Autor kämpfen gegen Ihre Sprache im Film?

Aber natürlich. Ich habe ja auch am Drehbuch mitgearbeitet. Nach den nicht sonderlich gelungenen Verfilmungen einiger meiner Bücher muss ich sagen: Ein Regisseur muss ein literarisches Werk wie einen Steinbruch benutzen, aus dem er sich Material holt. Es gibt für den Autor nichts Schlimmeres, als wenn der Regisseur aus Liebe zum Stil versucht, den Text des Buches im Film zu retten.

Nicht nur die Dialoge, auch der Schluss weicht diesmal von der Novelle ab.

Das am längsten nicht ganz gelungen Erscheinende am Drehbuch war der Schluss. In der Novelle ist der letzte Satz wie der erste. Es hat keinen Sinn, das filmisch umzusetzen. Der Schluss, der dann gefunden wurde, den halte ich für genial. Die Halms halten sich fest an einem durch den Bodensee treibenden Baum mit Ästen und Blättern. Das ist vollkommen unnaturalistisch. Wenn ein Baum im Bodensee treibt, ist er durch Zuflüsse aus dem Gebirge gewetzt und geschliffen worden, da bleibt kein Blatt. So hat der Schluss etwas Märchenhaftes.

Sie sind längst Ihr eigenes Kulturdenkmal am Bodensee, wie war denn dort die Resonanz auf den Film?

Die meisten waren so glücklich wie ich, das ist dem Rainer Kaufmann zuzuschreiben: So wurde der Bodensee noch nie gefilmt. Die Landschaft kann sich bei diesem Film bedanken.

Letztes Jahr gab es nur Gutes über Martin Walser zu lesen, ohne irgendeine Polemik.

Es war, glaube ich, das harmonischste Jahr in meiner Schriftstellerkarriere, und ich habe das genossen. Das Wichtigste war der Erfolg des Goethe-Romans „Ein liebender Mann“. Auf der Lesereise durch 60 Städte waren die Reaktionen herzlicher als je zuvor. Das muss daran liegen, dass es sich um eine ganz positive Geschichte handelt, aber um eine Leidensgeschichte. Wenn man so etwas Verrücktes macht wie Johann Wolfgang von Goethe, sich über einen Altersunterschied von sechs Jahrzehnten hinweg zu verlieben, spielen die gesellschaftlichen Umstände keine Rolle mehr.

„Ein liebender Mann“ wäre wohl eine Verfilmung wert?

Absolut. Ich stelle mir im Traum den verstorbenen Bernhard Minetti als Johann Wolfgang von Goethe und natürlich Petra Schmidt-Schaller als Ulrike von Levetzow vor.

Volker Isfort

Heute, ZDF, 20.15 Uhr

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