Lebst Du noch oder twitterst Du schon?

Die erste Münchner Twitterlesung in der „Niederlassung“ zeigte, dass auch beides geht. Sogar zusammen. Besser können virtuelle und reelle Welt nicht zusammenwachsen.
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Die erste Münchner Twitterlesung in der „Niederlassung“ zeigte, dass auch beides geht. Sogar zusammen. Besser können virtuelle und reelle Welt nicht zusammenwachsen.

Im Internet, speziell in den social communities, die wahre Freundschaften ersetzt haben, besonders aber bei twitter, diesem Kurzmitteilungsdienst für Kantinen-Liveticker und angekündigte Stuhlgänge, tummeln sich vorwiegend seelisch vereinsamte Zyniker, die nachts im Schlafanzug vorm PC sitzen, weil sie sich ins wahre Leben nicht mehr trauen. Okay, das muss kürzer gehen: Lebst Du noch oder twitterst Du schon? Ironiemodus aus.

"Bin wach. Aufs Maul?"

Dass beides geht, virtuell vernetzt zu sein und persönlich unterwegs, ja dass dies sogar zusammen geht, haben sie am Samstag in der „Niederlassung" gezeigt, einer modernen Bar im Gärtnerplatzviertel. Sie war Schauplatz der ersten Münchner Twitterlesung. Richtig, es gibt diese Menschen wirklich, die sich „Happy Schnitzel", „Deef" oder „Inschka" nennen und vor ihr Pseudonym ein @ setzen, und sie haben längst ihre Fangemeinde, die den Aphorismus-Autoren nicht nur im Netz folgen, sondern auch in die Kneipe. Weit mehr als hundert Leute waren da und sogar bereit, obwohl die meisten von ihnen sonst für ein (kosten)freies Internet eintreten, vier Euro für den Einlass zu bezahlen. Dafür gab’s Lebensweisheiten im 140-Zeichen-Takt. Beispiel: „In der Küche spült eine Frau Geschirr. Nicht mein Geschirr. Warte noch, bis sie das Bad geputzt hat. Dann rufe ich die Bullen." Oder auch kürzer: „Bin wach. Aufs Maul?" Ein Themenspektrum von Politik bis Porno, gesammelt im Twitterversum, vorgetragen von der Avantgarde der Szene. Und draußen brachen die Leitungen zusammen.

Hyperlocal: Die Nachbarschaft auf dem Laptop

Die Twitterlesung wurde, natürlich, live im Internet übertragen. Die Technik war zwar zuweilen auf Transistorradioformat, mal fehlte der Ton, dann wackelte das Bild, und doch bekam man einen Eindruck davon, wie Internet-Fernsehen künftig funktionieren wird. Hyperlocal bringt die Nachbarschaft auf den Laptop. Und das Gute daran: Man kann in Echtzeit weltweit darüber diskutieren: „Schön, wie sich alle bundesweit vor ihren Screens versammeln, um der #twitterlesung zu lauschen. Lagerfeuer war gestern", schrieb @jensbest. Doch @rafaelwv ätzte dagegen: „Wer eine #Twitterlesung veranstaltet hat Twitter nicht begriffen. #internetausdrucker #Podcastabschreiber".

In der Niederlassung fand derweil ein Offlinetweet-Wettbewerb statt, für manche ein Widerspruch in sich, der Blüten hervorruft wie diese: „Einige von den Sprüchen heut abend waren echt großartig. Kann die mal jemand ins Netz stellen?" Ein Mann names @peate wurde „Kreismeister Süd", er bekam eine echte Trophäe verliehen. Weit nach Mitternacht meldete er sich aus einer anderen Lokalität noch mal per Mobiltweet: "@niederlassung bitte meinen Pokal aufheben! Ich habe ihn liegen lassen!"

Besser können virtuelle und reelle Welt nicht zusammenwachsen.

Gunnar Jans (alias @breisacher)

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