Lebende Marionetten

Artistisch: Sergej Prokofjews komische Oper „Die Liebe zu den drei Orangen” im Gärtnerplatztheater
Volker Boser |
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Ein Märchen für Erwachsene? Zumindest der Beginn lässt etwas anderes vermuten: Da diskutiert eine bunte, reichlich aggressive Menschenmenge nicht etwa über Gott und die Welt, sondern darüber, was nun eigentlich gespielt werden soll: Schwank oder Rührstück, Tragödie oder Komödie.

Sergej Prokofjew hat in seiner Oper „Die Liebe zu den drei Orangen” diesen Disput aus der Vorlage Carlo Gozzis übernommen. Wohl auch deshalb, weil er sich damit alle Türen offen hielt. Der hypochondrische Prinz kann nur durch Lachen geheilt werden. Die italienische Commedia dell’arte trifft auf ein grotesk anmutendes Absurdistan der 1920er Jahre. Der berühmte Marsch wird zum Charleston.

Dass die Handlung den Rahmen einer kuscheligen Gute-Nacht-Geschichte sprengt, nimmt der mündige Besucher des Gärtnerplatztheaters mit Genugtuung zur Kenntnis: Nach einem Fluch der Zauberin Fata Morgana verliebt sich der melancholische Prinz in drei Orangen. Doch die sind in der Hand einer Köchin, die ein Mann ist und jeden Obst-Fetischisten mit dem Löffelchen in die Flucht schlägt. Dank des windigen Hallodris Truffaldino gelingt es seiner Hoheit, dennoch in den Besitz der Früchte zu gelangen. Sie entpuppen sich als verzauberte Prinzessinnen – eine von ihnen überlebt den adligen Rettungsversuch, und am Ende gibt es die erwartete Hochzeit.

Regisseur Immo Karaman hat das Geschehen mit viel Witz in die Zeit seiner Entstehung platziert. Bildzitate von Otto Dix sind unübersehbar (Bühne und Kostüme: Timo Dentler, Okarina Peter). Am Anfang wird das Bühnenpersonal in einen riesigen Bilderrahmen gezwängt, der sich im weiteren Verlauf immer mal wieder um die eigene Achse drehen darf. Vor allem bei der Führung der Personen glänzt die Inszenierung, prächtig unterstützt von Fabian Poscas ironisch unterkühlter Choreografie.

Die Finessen der Musik lassen sich erahnen. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter dem temperamentvollen Dirigenten Anthony Bramall mischt munter mit, muss sich bei den lautstarken Auseinandersetzungen der Akteure gelegentlich aber auch mit dem zweiten Platz begnügen.

Wie Tilmann Unger als Prinz seiner „hypochondrischen Zerrüttung” dezenten Nachdruck verleiht, wie Cornel Frey als zitternde Truffaldino-Marionette artistische Virtuosität zeigt – das ist so amüsant und brillant, dass man Ulrich Peters, den Intendanten auf Abruf, für diesen neuen Coup nur beglückwünschen kann. Zumal auch die übrigen Sänger, etwa Holger Ohlmann, Stephan Klemm, Gary Martin, Rita Kapfhammer und Sibylla Duffe, nicht enttäuschen.

Gärtnerplatztheater, wieder am 12., 18., 27. Mai, Karten unter Tel. 2185 – 1960

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