Lars von Trier: "O.k., ich bin ein Nazi"
Eigentlich sollte er beim Filmfestival in Cannes nur seinen Wettbewerbsbeitrag "Melancholia" vorstellen. Doch dann sorgte Regisseur Lars von Trier für einen Mega-Eklat.
Cannes - Einige verfallen kurz in ein ungläubig gequältes kurzes Auflachen, andere in Schockstarre: Hat er vor Sekunden das alles wirklich gesagt? Ja, und vielleicht hätte man es ahnen können: Ganz langsam hatte Lars von Trier in der letzten halben Stunde bereits die Schmerzgrenze ausgelotet, und die Dosis seiner Tabubrüche langsam nach oben geschraubt.
Hatte die amerikanisch-saubere Kirsten Dunst ihn gerade noch als Frauenversteher gelobt, erklärt Lars von Trier die leichte Verspätung der Pressekonferenz mit „unbefriedigendem Sex, den er gerade mit ihr gehabt habe. Heiterkeit über den zu frechen Witz im Pressesaal. Auch Kirsten Dunst lacht noch. Aber sofort lässt Lars von Trier sie so leicht nicht davon kommen. Er kündigt das nächste gemeinsame Projekt an: Dunst hätte sich einen „Porno“ gewünscht. „den veranschlage ich auf drei bis vier Stunden“. Ungläubiges Gelächter. Schließlich habe Dunst im neuen Film „Melancholia“ ihr Nacktbild als Biber am Wasserlauf ja unbedingt drin haben, obwohl er es gar nicht so passend fand.
Das Lachen im Saal über die Witze wird unsicherer. Was treibt der da vorne eigentlich für ein sadistisches Spiel mit seinem blonden Superstar, der sich für ihn in „Melancholia“ entblößt hat? Nach einer befreienden Zwischenfrage nach dem Wert von Depression in der Kunst („die habe ich überwunden“), fragt eine Londoner Kollegin nach der Rolle von Wagnermusik, der deutschen Malerei, den „gothic“ - gotisch gruseligen Aspekten, dem Gothic-Stil im Film. „Sie fragen nach dem germanischen? Ich dachte lange, ich wäre jüdischer Abstammung und habe das geliebt“, sagt Trier. Dann sei das Gegenteil aufgekommen, seine „Hartmann“-Vorfahren seien Nazis gewesen.
Lars von Trier erzählt das alles wie immer grinsend verhuscht, langsam, leicht vernuschelt, leise: „Ja, Israel ist ein ,pain in the ass' - eine Plage, ich mag es. Aber ich kann mich in Hitler hineinversetzen, ich sehe diesen Mann im Bunker“. Und: „Ich mag Albert Speer“, Hitlers Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister.
Innerhalb dieser Sätze ist Kisten Dunsts Lächeln endgültig gefroren. Bleich rückt sie am Tisch vom Regisseur ab, lehnt sich nach hinten, nimmt hinter von Triers Rücken Hilfe suchend Blickkontakt mit ihrer Kollegin Charlotte Gainsbourg auf, die bereits mit „Antichrist“ den krassesten sado-maso-perversen Film mit dem Dänen gedreht hat. Die zuckt ratlos mit den Schultern, während von Trier weiterspricht: „O.k., ich bin ein Nazi! - Aber wie komme ich jetzt aus diesem Satz wieder raus?“
Der Moderator versucht es und lässt blitzartig die nächste Frage zu: Ein Reporter fragt, weil Trier mit De Niro einen neuen „Taxidriver“ drehen will, nach Hollywood. Und von Trier nimmt das Stichwort „Hollywood“ als Vorlage für den Abschlusshammer: Hollywood habe ja auch einen Hang zu größeren Dimensionen, wie die Nazis. Und dann fällt das Wort, das letzte Tabu: Lars von Trier spricht von der Suche nach der „final solution - der Endlösung“.
Der Moderator bricht die Pressekonferenz ab, hysterisches Gelächter, Unruhe, Orientierungslosigkeit im Saal, während vorne viele – als sei nichts geschehen - noch Autogramme von Dunst und Trier erhaschen und die Fotografen wieder ihr Blitzlichtgewitter aufflammen lassen.
Was ist mit diesem Mann passiert? Für reine Publicity-Geilheit ist dieser Mann zu ernsthaft. Hat der bekennend Depressive seine Pillen vergessen? Ist er der große, geschmacklose Zyniker oder sagt er nur was er denkt?
Vor zwei Jahren, hier in Cannes, hatte er sich nur einen Hammersatz geleistet, der als Witz aufgefasst worden war: „Ich bin der größte Regisseur“, hatte er in einem Nebensatz verkündet. Vielleicht ist dieser Mann wirklich größenwahnsinnig. Dabei ging im Wirbel der Pressekonferenz unter, dass ihm mit „Melancholia“ ein bildintensiver, ganz besonderer Weltuntergangsfilm gelungen ist, den Trier selbst und ironisch als „Komödie“ bezeichnet.
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