Lässig und doch so hart

„Wer wenn nicht wir” ist ein intensives Zeitporträt der bundesdeutschen Umbruchszeit am Vorabend des RAF-Terrorismus. Andres Veiel macht sie in der Geschichte von Ensslin und Vesper aktuell erlebbar
von  Adrian Prechtel

Deutschland, die 60er, der sonntägliche Mittagstisch. Über das Herrenhaus des geächteten Nazi-Schriftstellers Vesper hat sich gruftartige Schwere gesenkt. Im kleinbürgerlichen Pastorenhaushalt der Ensslins auf der schwäbischen Alb liegt Verhärmtheit über den Suppentellern.

„Ich schreibe so, wie wenn man der Gesellschaft mit der Faust in die Fresse haut”, wird Vesper-Sohn Bernwart (August Diehl) als Literatur-Student sagen, einen Verlag gründen – seltsam positioniert zwischen national-vergessenen Autoren und linksradikalen Gedanken. Und er wird der Verlobte der Pastorentochter Gudrun (Lena Lauzemis), die in Berlin ihren moralischen Rigorismus ins Terroristische treiben wird.

Regisseur Andres Veiel hat vor zehn Jahren mit dem Dokumentarfilm „Black Box BRD” Täter und Opfer der dritten RAF-Generation und damit die Stimmung der bleiernen Zeit genial beschrieben. Mit seinem ersten Spielfilm geht er zurück zur ersten Generation, als der Protest noch jung war, auch sexuell, geboren aus dem Traum, es anders zu machen als die erstarrten Eltern. Es sind die großen Reibungsflächen der Zeit, die Aus- und Aufbruchs-Gefühle politisch entzünden: Castros Triumph, „der mit einem Haufen Gleichgesinnter ein Regime beseitigt hat”, der Eichmann-Prozess, der den totgeschwiegenen Wahnsinn des Holocaust offenlegt, Vietnam, der Schah-Besuch, niedergeknüppelte Demonstranten.

Veiel nutzt für das Zeitgefühlskolorit auch Dokumentaraufnahmen und ästhetisiert cool seine historisch präzisen Spielfilmbilder, so wenn Billie Holidays Stimme den Klang zum ausgebrannten Kaufhaus des Westens liefert, nach dem nächtlichen Anti-Konsumkapitalismus-Anschlag einer Großstadt-Guerilla.

Gegen Ende wird Gudrun Ensslin ihren kleinen Sohn eiskalt beim Vater Bernwart lassen und mit Baader (Alexander Fehling) in den Untergrund gehen. In dem bevorstehenden Kampf kann es keine Bürgerlichkeit mehr geben. Eine Bürgerlichkeit, die Bernwart dagegen vor allem intellektuell radikal reformieren will. In einer Form von Hass-Abhängigkeit soll der Vater und dessen Nazi-Generation politisch abgeräumt werden. Und doch sucht Bernwart verzweifelt nach einer unbeschmutzten bürgerlichen Kunst dieser Zeit.

„Ihr Vater wird immer Ihr Vater bleiben”, hatte ein Professor bedrohlich und zugleich versöhnlich zu ihm gesagt: „Den dürfen Sie verteidigen. Den Nazi-Schriftsteller, der Ihr Vater war, nicht.” Auch an diesem Zwiespalt wird Bernwart irre werden. Als Kind hatte der Vater einen roten Kater als jüdisch-orientalisches Tier im Hasenstall erschossen, wo der kleine Bernwart ihn versteckt hatte. Diese konsequente Härte ekelt und fasziniert Bernwart zugleich.

„Wer wenn nicht wir” ist geniales Zeitporträt einer deutschen Zeitenwende. Nichts wird beschönigt, nicht Partei für den Weg in die Gewalt ergriffen und doch der neue Zeitgeist geatmet. Alles ist so intensiv, dass man mit den Bildern riecht, schmeckt, schluckt, liebt.

Kino: ABC, Eldorado, Arena, B&R: Andres Veiel (D, 124 Min.)

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