Zum 50. Todestag von Pablo Picasso: Das Genie als Abstauber

Vor 50 Jahren starb Pablo Picasso – der innovativste Künstler des 20. Jahrhunderts.
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Aufmerksam und mit kritischem Blick blättert Picasso 1961 durch den eigenen Mythos, da ist der Künstler gerade 80 Jahre alt geworden.
Aufmerksam und mit kritischem Blick blättert Picasso 1961 durch den eigenen Mythos, da ist der Künstler gerade 80 Jahre alt geworden. © imago images / United Archives International

Er war längst unsterblich geworden, überall auf der Welt hingen seine Werke. Doch am Ende hat Pablo Picasso gegen den Tod angemalt. Anders kann man das nicht deuten, denn in den letzten zwei Jahren bevor er am 8. April 1973 an Herzversagen starb, sind unfassbare 200 Bilder entstanden. Im Schnitt zwei pro Woche. Wie ein Besessener muss der etwa 90-Jährige gefuhrwerkt haben, und jede einzelne dieser Existenzvergewisserungen ist exakt datiert.

Befeuert von Liebe und Erotik

Mit Furor feiert er noch einmal das, was ihn ein Leben lang befeuert hat: die Liebe, die Erotik. Dabei müsste man eher von einem Kampf zwischen Mann und Frau sprechen, nun übertragen auf Künstler und Modell. Krude verkeilt sind sie auf Picassos letztem Gemälde "Die Umarmung", vollendet am 1. Juni 1972.

Doch dieses orgiastische Ringen des nackten Paares kommt nicht zum Ziel. Soll oder kann es vielleicht auch nicht. Vier Wochen später, am 30. Juni, zeichnet sich Picasso mit angstvoll weit aufgerissenen Augen und eingefallenen Wangen, als hätte er den Abgrund vor sich. Oder ist es die Panik vor dem Stillstand?

Der alte, machtlos gewordenen Souverän ist dazu verdammt, vom Akteur zum Voyeur zu werden. In der eigenen Fantasie - und auf der Leinwand. In den 1960er Jahren, als er mit seiner letzten Frau Jacqueline Roque zurückgezogen auf Château de Vauvenargues nahe Aix-en-Provence lebt, behandelt er das in Hunderten Darstellungen von Maler und Modell. Die Fondation Beyeler bei Basel präsentiert davon noch bis zum 1. Mai eine vorzügliche Auswahl.

Gegen Verfall und Sterben

Der 1881 in Málaga geborene Picasso blickt in seinen 80ern weit zurück. Er hat einst in der Auseinandersetzung mit den Alten Meistern das Malen gelernt, beim Vater im Atelier viel studiert. Das scheint nicht vergessen zu sein, und so debattiert er an der Staffelei mit den Altvorderen wie Rembrandt, Delacroix, El Greco und Raffael, dessen Liebesleben er vorführt: der Maler der Päpste mit seiner Geliebten auf dem Schoß.

Und das in pornografischer Deutlichkeit. Doch egal, in welcher Gestalt Picasso seinen Modellen gegenübertritt - sei es als Faun, Musketier oder eben Raffael -, immer behauptet er sich gegen die Zeit, wie es Werner Spies formuliert, und damit gegen Verfall und Sterben.

Den bewährten Weg verlassen

Über die Rolle der Frau kann man heute nur den Kopf schütteln. Sie darf als Trophäe neben dem Schöpfer das Bild füllen, rutscht dabei aber auch in die Anonymität und wird austauschbar. Für Fernande, Eva, Dora und die anderen Geliebten gilt das nicht, gewöhnlich sind sie sogar mit einem neuen Stil verknüpft.

Sowieso gibt es keinen Künstler der Moderne, der so oft den bewährten Weg verlässt, der ausprobiert, variiert und in unbekannte Felder vorstößt. Es wird ihm ja auch schnell fad, und wenn etwas ausgereizt ist, muss etwas anderes her. Das betrifft leider genauso die Frauen.

Der Mann ist rastlos, das beginnt schon vor dem Durchbruch, als er durch den Selbstmord seines schillernden, drogenabhängigen Freundes Carlos Casagemas im Jahr 1901 in eine tiefe Krise fällt und dunkle, melancholische Bilder von Kranken und Sterbenden malt. Die Rede ist von der Blauen Periode, in der Picasso endgültig in Paris ankommt, 1904 am Montmartre im verwahrlosten Atelierhaus Bateau-Lavoir Unterschlupf findet und sich alsbald von der handfesten Fernande Olivier aufheitern lässt.

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Das überträgt sich auch auf seine Palette. Nach wenigen Monaten ist Rosa angesagt, und Picasso gockelt neugierig durch die Szene. Er schnappt auf, was nur geht, das vielgepriesene Genie, zu dem sich Picasso stilisieren wird, ist immer auch ein Abstauber. Einer, der das Gesehene virtuos verwandeln und zur eigenen Idee formen kann. Das bezieht sich nicht zuletzt auf den Kubismus, der ohne Georges Braque sicher ganz anders verlaufen wäre.

Zuvor aber landet Picasso mit den monumentalen "Demoiselles d'Avignon" 1907 einen Coup, durch den die Malerei eine radikale Wendung nimmt. Selbst Kollegen, wie Henri Matisse ("ein Witz") sind irritiert, um es milde auszudrücken.

Der gemeine Fremdgänger

Picasso hat sich den Demoiselles lange und qualvoll angenähert. Das ist gewissermaßen ein Endpunkt, nachdem wieder etwas Neues kommen muss, der Kubismus eben. Und auch die zerstückelte und aufregend schräg zusammengesetzte Welt ist irgendwann durchgespielt. Die Surrealisten werden attraktiv, allerdings ist Picasso viel zu sehr Solitär, um sich in die künstlerische Vereinsmeierei einzufügen.

Längst hat er Fernande durch Eva und diese durch Olga ersetzt. Die schöne russische Ballerina wird 1918 sogar Madame Picasso, bringt Sohn Paulo zur Welt, doch gelangweilt vom Familienleben mit Chauffeur und Hauspersonal findet der Mittvierziger 1927 das Gesicht der noch minderjährigen Marie-Thérèse Walter interessant: "Mein Fräulein, ich möchte Sie malen", fängt er an zu werben. Und während sich der gemeine Fremdgänger durch Parfüm und Lippenstift verrät, sind es bei Picasso die Bilder.

"Nach Picasso kommt bloß noch Gott"

Er braucht das weibliche Gegenüber, seine Arbeit ist anders nicht denkbar, das beweisen die grandiosen Porträts. Und die Frauen fliegen auf ihn. Rose Maria Gropp hat diesen Beziehungsreigen - das "System Picasso" - präzise analysiert. Die Gefährtinnen hätten genau gewusst, worauf sie sich einlassen, schreibt Gropp. Ob sie auch ahnen konnten, wie kläglich das enden würde? "Göttinnen und Fußabstreifer" lautet der Buchtitel, es gäbe nur diese zwei Typen von Frauen, hat Françoise Gilot in ihren Lebenserinnerungen notiert. Jede Angebetete wird nach plus minus zehn Jahren vom Sockel gestürzt - und auf dem nächsten Gemälde demontiert.

Gilot, die selbstgewisse Künstlerin, ist übrigens die Einzige, die Picasso sitzenlässt, die gemeinsamen Kinder Claude und Paloma mitnimmt und auch keinerlei Seelen-Havarie erleidet wie etwa ihre Vorgängerin Dora Maar. Die Fotografin wird als ewige "Weinende" zur Berühmtheit, und dennoch weist sie einen späteren Verehrer mit den Worten "nach Picasso kommt bloß noch Gott" zurück. Lediglich die letzte, gerade halb so alte Jacqueline kann nicht mehr aussortiert werden, weil der Tod zuvorkommt. Und mit 91 geht ein Maler eben an der Staffelei auf Pirsch.

Picasso: Ein unabhängiger Kopf 

Was also bleibt von diesem Kunst-Matador des 20. Jahrhunderts, der über 50 000 Werke hinterlassen hat? Seine Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Keramikarbeiten bringen nach wie vor Höchstpreise ein. An Picasso können sich die Nachfolgenden immer noch reiben, abarbeiten, ihn persiflieren wie Nicole Eisenman. Gewiss nicht mehr in einem Ausmaß, wie das bis in die 90er Jahre der Fall war. Zumal während der letzten drei Dekaden seines Lebens abstrakte Tendenzen dominant geworden sind, dann die Pop Art und vieles mehr.

Doch Picasso ist ein großer Bilderfinder, für die Dynamik der Moderne war er ungemein wichtig und bis zu einem gewissen Grad auch als politischer Künstler. Guernica von 1937 gehört zu den bedeutendsten Antikriegsbildern. Und von 1944 bis zu seinem Tod war er Mitglied der kommunistischen Partei - was ihn keineswegs daran gehindert hat, gegen die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands 1953 und den Einmarsch der sowjetischen Truppen 1968 in die Tschechoslowakei lauthals zu protestieren.

Picasso war ein unabhängiger Kopf. Dabei ließ er anderen manchmal kaum die Luft zum Atmen.

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