Interview

Wo ist Platz für den Olympia-Waldi?

Markus Speidel, der neue Direktor des Münchner Stadtmuseums, über die Zukunft des Museums im Herzen der Stadt
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Der neue Direktor Markus Speidel im leer geräumten Stadtmuseum.  Der 50-jährige Kulturwissenschaftler aus Göppingen hat nach Stationen am Stadtmuseum Stuttgart und am Museum der Alltagskultur des Landesmuseums Württemberg im Oktober 2024 die Leitung der Sammlung Stadtkultur am Münchner Stadtmuseum übernommen. Seit Juli ist Speidel Direktor des Hauses.
Der neue Direktor Markus Speidel im leer geräumten Stadtmuseum. Der 50-jährige Kulturwissenschaftler aus Göppingen hat nach Stationen am Stadtmuseum Stuttgart und am Museum der Alltagskultur des Landesmuseums Württemberg im Oktober 2024 die Leitung der Sammlung Stadtkultur am Münchner Stadtmuseum übernommen. Seit Juli ist Speidel Direktor des Hauses. © Foto: Amelie Tegtmeyer
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Früher ist er 25 Kilometer in die Arbeit geradelt. Um „wenigstens“ auf 17 zu kommen, hat Markus Speidel einen komplizierten Weg von Pasing aus zum Münchner Stadtmuseum ausgetüftelt, der vor allem durch Parks führt. „Da hat man schon mal Sport gemacht“, sagt der neue Direktor und federt zum Sitzungstisch. Auf grünen Sneakers, das ist die Farbe der Hoffnung. Bei der anstehenden Generalsanierung kann das nicht verkehrt sein.

AZ: Herr Speidel, wann haben Sie das Münchner Stadtmuseum zum ersten Mal wahrgenommen?
MARKUS SPEIDEL: 2008 mit der Ausstellung „Typisch München“. Ich war damals Volontär am Deutschen Museum, und eine Restauratorin, die heute meine Frau ist, hat mich zur Eröffnung mitgeschleppt. Seither gab es immer wieder Berührungspunkte, auch weil ich bald darauf im Planungsstab für das neue Stadtmuseum Stuttgart mitgearbeitet habe. Von dort sind wir natürlich auch nach München gefahren, um zu sehen, wie das hier funktioniert.

"Man hat selten die Chance, ein Museum von Grund auf zu planen"

Was haben Sie mitgenommen?
Beeindruckend war immer die ungeheure Anzahl an Ausstellungen, die das Museum Jahr für Jahr gestemmt hat. Ansonsten sind die Häuser in Bezug auf Fläche, als auch in Umfang und Vielfalt der Sammlungen zu verschieden. Da mussten wir in Stuttgart schon unseren eigenen Weg finden.

Fast schon alte  Zeiten, aber so  kennt man das Münchner Stadtmuseum, das eine halbe Ewigkeit auf seine Sanierung warten musste. Mittlerweile ist es leer geräumt, 2026 gehen die Bauarbeiten los - das Projekt liegt momentan bei 270 Millionen Euro. Bis zum Sommer2027 bleibt das Filmmuseum in Betrieb, auf das Stadtcafé rechts im Bild ist im Mai das „Nash“ gefolgt.
Fast schon alte Zeiten, aber so kennt man das Münchner Stadtmuseum, das eine halbe Ewigkeit auf seine Sanierung warten musste. Mittlerweile ist es leer geräumt, 2026 gehen die Bauarbeiten los - das Projekt liegt momentan bei 270 Millionen Euro. Bis zum Sommer2027 bleibt das Filmmuseum in Betrieb, auf das Stadtcafé rechts im Bild ist im Mai das „Nash“ gefolgt. © imago/Joko

Seit Juni sind Sie hier am Stadtmuseum Direktor, aber ein geschlossenes Haus ist nicht besonders sexy. Abgesehen vom Salär - was zieht Sie an?
Man hat selten die Chance, ein Museum von Grund auf zu planen. Ich durfte das bereits in Stuttgart, aber vieles musste ich erst lernen, manches konnte ich damals auch nicht umsetzen. So etwas noch einmal anzugehen mit dem Wissen, das ich mir über die Jahre angeeignet habe, reizt mich ungemein. Und im Unterschied zu Stuttgart gibt es hier diese reichen und wirklich bedeutenden Sammlungen, mit denen man so viel Begeisterung wecken kann.

"Die Moriskentänzer im Louvre, das ist die oberste Liga"

Das wissen vor allem die Museumsfachleute.
Ja, in der Szene ist das Haus äußerst gut angesehen, das sagen mir auch die Leihverträge, die ich dauernd unterschreibe. Überall auf der Welt sind unsere Exponate gefragt. Die Moriskentänzer hatten bis Anfang Februar einen großen Auftritt im Pariser Louvre, das ist die oberste Liga. Dagegen könnte die Außenwirkung beim Publikum besser sein. Da ist also einiges ausbaufähig, und nicht erst, wenn wir wieder eröffnen.

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Das sollte in sechs Jahren der Fall sein. Wie darf man sich das Münchner Stadtmuseum der Zukunft vorstellen?
Das Museum soll ein öffentlicher Ort der Diskussion und der Auseinandersetzung sein. Es geht nicht mehr darum, nur etwas zu zeigen, sondern aufzunehmen, was die Gesellschaft bewegt, zuzuhören, ein Forum zu schaffen. Das ist eine der spannendsten Aufgaben, die es zurzeit in der Museumswelt gibt und München eines der größten Projekte der Republik.

Geplant wurde schon unter Ihrer Vorvorgängerin. Wie viel Spielraum bleibt da noch?
Darüber verschaffe ich mir gerade einen Überblick. In der Ausstellungsplanung gibt es durchaus noch Möglichkeiten. Wobei die Basis bereits sehr gut gelegt ist. Manchmal geht es nur um eine Umwidmung, einen Zusatz, das ist alles nicht problematisch.

Wissen Sie schon, wo zum Beispiel der Jugendstil zu sehen sein wird? Und wo man den King Kong aus der Schaustellerei findet? Wo den Olympia-Waldi?
Wir werden kaum noch spezifische Flächen für einzelne Sammlungen haben. Das Münchner Stadtmuseum ist vor allem interdisziplinär angelegt. Die großen Themen sind gesetzt, aber nicht bis ins Detail durchkonzipiert. Vieles, was die Münchnerinnen und Münchner kennen und lieben, werden sie sicher wiederentdecken, aber vielleicht auch mal in neuen Kontexten, also anderen Zusammenhängen als sie es bisher gewohnt waren.

Nun geht die Halbwertszeit von Dauerausstellungen rapide nach unten. Anfang der 2030er Jahre könnte manches schon wieder veraltet sein.
Wie schwierig diese Vorausplanung ist, wird sofort klar, wenn Sie sechs Jahre zurückdenken. 2019 gab es keine Pandemie, noch keinen zweiten Überfall Russlands auf die Ukraine, keinen Angriff der Hamas auf Israel, keine KI im heutigen Sinne. Natürlich haben wir Ausstellungsbereiche wie die Stadtchronologie, wo keine eklatant neuen Einordnungen zu erwarten sind. Aber was die thematischen Zugänge betrifft, spielen äußere Veränderungen eine große Rolle. Es stellt sich überhaupt die Frage, ob Dauerausstellungen noch auf 20 Jahre hin angelegt werden können, und ob es nicht sinnvoller ist, mit Modulen zu arbeiten, die leichter anzupassen sind.

"Was sagen Toaster über uns?" 

Immer neu ist nicht sonderlich nachhaltig.
Und auch von keinem Haus zu stemmen, weder finanziell noch personell. Deshalb muss man Bereiche schaffen, die unabhängig vom Rest überarbeitet werden können. Da sprechen wir von einem Zeitraum von fünf Jahren, vielleicht auch zehn. Man darf sich aber auch nicht verrückt machen. Je näher man an die Gegenwart kommt, desto schneller wirkt etwas veraltet. Bei einem Möbel von 1910 haben wir dagegen andere Kriterien. Denken Sie an das Hohelied, das noch vor fünf Jahren auf Elon Musk und die Elektromobilität gesungen wurde. Da müssen manche technischen Museen wieder ein paar Schilder runterschrauben.

Apropos runterschrauben: München muss sparen, betrifft das auch die Sanierung des Stadtmuseums?
Nein. Wir sind ausgezogen, und alles, was den Fortgang verzögert, kostet nur viel Geld. Wobei das eingeplante Sanierungsbudget keineswegs überzogen ist. Hier wird nicht mit Goldstaub gebaut, vergleichbare Projekte in Deutschland sind um einiges kostspieliger. Und man muss bedenken, dass die Pandemie im Ausstellungsbau zu Preissteigerungen von bis zu 40 Prozent geführt hat.

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Welche Beziehung pflegen Sie zu Kunst und Kunsthandwerk, die im Stadtmuseum eine gewichtige Rolle spielen?
Als empirischer Kulturwissenschaftler komme ich aus der Alltagsforschung, und die letzten Jahre habe ich mich mit „schnöden“ Dingen beschäftigt wie Toaster, Aufladekabel, Plastiktüten … Was sagen diese Objekte über uns aus? Ich bin keine Kunst-Koryphäe, dafür gibt es genügend kundige Leute im Haus. Doch ich war ein großer Fan der Jugendstil-Ausstellung in der Kunsthalle, weil man die Breite und Qualität unserer Sammlung sehen konnte.

Trümmerfotografien von Herbert List in der Rathausgalerie

Und sonst?
Mich zieht es schon in Kunstausstellungen, weil man eine andere Perspektive einnehmen kann und schnell aus den üblichen Denkrastern gerät. Meistens zieht mich die Gegenwartskunst an, deshalb versuche ich immer, nach Venedig zur Biennale zu fahren. Die inspiriert einfach, egal, ob mir etwas gefällt oder mich aufregt. Diese Reibung ist auch im Museum ganz wichtig, denn erst dann hinterfragt man etwas.

Mit guten Ausstellungen bleibt man in der Stadt präsent. Was ist geplant?
Wir müssen unsere Kräfte da gut einteilen, das neue Münchner Stadtmuseum fällt nicht vom Himmel. Aber das Team ist richtig motiviert, und bei meinen Antrittsbesuchen in München merke ich, dass der Wille zu kooperieren außerordentlich hoch ist. Wir könnten dauernd irgendwo mit Ausstellungen präsent sein. Fix sind im Dezember die Trümmerfotografien von Herbert List in der Rathausgalerie. Und schön: Wir erhalten von der Kulturstiftung des Bundes eine Förderung. Da geht es um die Möglichkeit, Museen komplett neu zu denken. Wie kann man Strukturen schaffen, die das Museum enger mit der Stadtgesellschaft vernetzt? Damit wollen wir in die Stadt gehen, wobei das Thema ja auch ins künftige Konzept hineinspielt.

Wie läuft „What the City” im ehemaligen Zeughaus?
Die Ausstellung wird von Einheimischen wie Touristinnen und Touristen gut angenommen. Sie ist ein Versuch, das Haus zu öffnen - ohne Eintritt, ohne Schwellen. Man gewinnt ein vielseitigeres Bild von München, das mit den üblichen Klischees wie Bier, Fußball und Schickimickis nicht viel zu tun hat. Mir gefällt, dass viele Menschen zu Wort kommen, die man sonst eher nicht hört. Und damit sind wir wieder bei der Teilhabe. Darum geht es auch im künftigen Stadtmuseum, das für alle da sein soll.

„What the City. Perspektiven unserer Stadt“, ehem. Zeughaus, Eingang Jakobsplatz, Di bis So 11 bis 19 Uhr, Eintritt frei

 

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