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Wie schön könnte Deutschland sein? Ein Rundgang im Bauzentrum Poing

Wer denkt, Fertighäuser wären langweilig und spießig, wird in Poing eines Besseren belehrt. Auf über fünf Hektar gibt es dort Musterhäuser, die alles andere als standardisiert sind.
Joachim Goetz |
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Das Poinger Weberhaus glänzt ganz in Weiß. Die dunklen Rahmen und die knappen Details von Traufe, Brüstungen sowie die bodentiefen Fenster vermitteln sowohl Großzügigkeit als auch eine gewisse distanzierte harte Ästhetik. Dieses anspruchsvolle Bauwerk verzeiht keinen Stilbruch, erfordert Lust an permanenter Aufmerksamkeit und Pflege. Aber es ist eben schön.
Das Poinger Weberhaus glänzt ganz in Weiß. Die dunklen Rahmen und die knappen Details von Traufe, Brüstungen sowie die bodentiefen Fenster vermitteln sowohl Großzügigkeit als auch eine gewisse distanzierte harte Ästhetik. Dieses anspruchsvolle Bauwerk verzeiht keinen Stilbruch, erfordert Lust an permanenter Aufmerksamkeit und Pflege. Aber es ist eben schön. © JG

Fährt man durch Vororte Münchens und Neubaugebiete, befällt einen oft sanfte Depression: hasenstallartige Spießigkeit, Einfamilienhausfassaden, die keinen einzigen ästhetischen Einfall haben. Alles nur stillose Wohnzweckbauten?

Dann kommt man nach Poing zu der interessanten Adresse: Senator-Gerauer-Straße 25. Auf über fünf Hektar stehen hier rund 60 Musterhäuser. Und man fragt sich, wenn man den Eingangspavillon verlassen hat und drin ist in der Mustersiedlung des Bauzentrums in Poing: Alles Kulisse?

Rechter Hand lockt ein Eigenheim im Toskanastil, links ein geradezu heimeliges idyllisches Bayerwald-Haus und vor einem steht eine Art klassizistisch anmutendes Anwesen. Und manches Objekt lockt nicht nur mit gestalterischen Finessen, sondern hexenhäuschen-artig sogar mit Kaffee und Kuchen.

Der Name sagt es: Das "Vitalhaus Heidi" zitiert den Schweizer Chalet-Stil. Gestalterisches Understatement zeigt sich im schlichten Satteldach und der klassischen Hausform. Das konsequent ökologische Holzhaus will gemütlich ruhig sein und beweist dabei Eleganz.
Der Name sagt es: Das "Vitalhaus Heidi" zitiert den Schweizer Chalet-Stil. Gestalterisches Understatement zeigt sich im schlichten Satteldach und der klassischen Hausform. Das konsequent ökologische Holzhaus will gemütlich ruhig sein und beweist dabei Eleganz.

Aber hier ist man nicht in Lego- oder Disneyland, wo gleich noch ein Neuschwanstein herumstehen würde. Nein, hier ist alles im Maßstab 1 zu 1: echte begehbare Häuser zum Betreten, Staunen, manchmal bewundern – und womöglich gerne sofort einziehen. So könnte man fast vergessen, dass man nicht (allein) zum Vergnügen da ist.

Der Anlass des Aufenthalts ist ja meistens eher ernster Natur: Der Besucher in Bayerns größter Eigenheim-Ausstellung mit rund 60 modernen Häusern auf knapp 60 000 Quadratmetern will sich ja nicht über diverse architektonische Stilrichtungen informieren, sondern oft mehr als eine Million Euro ausgeben: für ein neues Haus plus Grundstück. Das baut oder kauft man selten öfter als ein Mal im Leben.

Die Renaissance-Villen von Andrea Palladio in Oberitalien lassen ebenso grüßen wie die klassischen Gründerzeitvillen unserer Städte. Die Fassade ist harmonisch symmetrisch mit Giebelchen, Walmdach und profilierten Details an Dach und Fenstern – ohne Kitsch.
Die Renaissance-Villen von Andrea Palladio in Oberitalien lassen ebenso grüßen wie die klassischen Gründerzeitvillen unserer Städte. Die Fassade ist harmonisch symmetrisch mit Giebelchen, Walmdach und profilierten Details an Dach und Fenstern – ohne Kitsch.

Da muss man sich über vieles informieren – über Passiv- oder Plusenergiehäuser, Niedrigenergiestandard, nachhaltige oder gesundheitsgeprüfte Bauweise, Smart-Homes. Und eben auch über die Gestaltung und den Stil. Schließlich will man in seiner gebauten Lebensinvestition auch gesehen werden – als Mensch mit Stil und Geschmack. Es geht also auch darum, wie so ein Haus wirkt: einladend, abweisend, herrschaftlich, unterwürfig, freundlich, traditions- oder umweltbewusst – und vieles mehr. Selbst politische und soziale Ideale lassen sich mit dem Outfit des viel geschmähten eigenen und freistehenden Einfamilienhauses nach außen tragen.

Besuch im Bauzentrum Poing: Heimatverbunden oder kühl wie Richard Meier?

Da braucht's dann nämlich gar keine wie auch immer gearteten Flaggen im Garten oder auf dem Dach. Der Wähler der Grünen wird sich wohl in den seltensten Fällen für einen optisch hart anmutenden, weiß gestrichenen Kubus entscheiden – jedenfalls nicht ohne das angebotene ökologische Grasdach und selbst erzeugten Strom und Warmwasser via Photothermie-Anlage.

Da zeigt sich ein konstruktives Dilemma: Wenn auf dem (flachen) Dach – wie hier in einem Beispiel möglich – schon Bäume wachsen, hat das eigene Energie-Kraftwerk nur noch wenig Platz. Aber dieses Problem lösen bestimmt die Technik-Experten, die man auf dem Gelände in ihrem Technik- oder Smart-Home-Pavillon als Berater antrifft.

Mediterranes Flair hat dieses Haus, das wie eine toskanische oder mallorquinische Villa erinnert. Verspielte Dachlandschaften für Vorbauten wie Terrassenüberdachung und Garage sowie Rundsäulen, Bögen und Sprossenfenster vermitteln dieses Bild.
Mediterranes Flair hat dieses Haus, das wie eine toskanische oder mallorquinische Villa erinnert. Verspielte Dachlandschaften für Vorbauten wie Terrassenüberdachung und Garage sowie Rundsäulen, Bögen und Sprossenfenster vermitteln dieses Bild.

Der kühle Ästhet hingegen kann sich durchaus für einen kubischen Bau im Bauhaus-Look entscheiden. Glatter Putz, eckige Stützen, dunkle Jalousien und Fensterrahmen – da lässt sich nicht rummäkeln. Das hätte fast der amerikanische Erfinder der weißen Villen – Richard Meier – entworfen haben können, der mit diversen weißen Bauten für Siemens in München präsent ist.

Gediegen, klar, mit Satteldach präsentierten sich viele andere Häuser. Eines erinnert etwa an den in den siebziger Jahren beliebten Konstruktivismus. Man nutzt Stützen, Dach oder Balkone, um die konstruktiven Elemente nach außen abzubilden. Wer es gediegen wünscht, setzt das Haus in einen Seerosenteich, der weniger an einen europäischen Wassergraben als vielmehr an die fernöstliche, japanische Eleganz eines zen-buddhistischen Klostergartens erinnert.

Das Blockhaus "Clara" vermittelt rustikalen Charme und die Gemütlichkeit einer Almhütte. Mit der massiven Blockbauweise erzielt man hervorragende Dämmwerte. In der Gestaltung erinnert das Haus an Bayerwald- und Schwarzwaldhäuser oder an (vor)alpenländische traditionelle Siedlungsbauten.
Das Blockhaus "Clara" vermittelt rustikalen Charme und die Gemütlichkeit einer Almhütte. Mit der massiven Blockbauweise erzielt man hervorragende Dämmwerte. In der Gestaltung erinnert das Haus an Bayerwald- und Schwarzwaldhäuser oder an (vor)alpenländische traditionelle Siedlungsbauten.

Heimatverbunden geben sich traditionelle Blockhäuser aus massivem Holz, das natürlich genauso wie das "Tiroler Holzhaus" nicht nur ans Gefühl appelliert, sondern auch den Charme einer eigenen Berghütte.

Unauffälliger geben sich zahlreiche Häuser, die verschiedenen Stilelemente miteinander kombinieren – wie in einem Mehrgenerationenhaus, das sogar mehr Energie gewinnt als es verbraucht. Es hat auch einen anbauartigen Salon mit Gartenterrasse, den man natürlich nicht gleich knallrot lackieren lassen muss – wie hier.

Ein harmonischer Material-, Farben- und Formenmix charakterisiert das in verschiedene Baukörper gegliederte Haus. Der Clou: Dank einer modularen Systembauweise kann das Effizienzhaus durch An- und Zubauten mitwachsen, wenn das Grundstück Platz bietet.
Ein harmonischer Material-, Farben- und Formenmix charakterisiert das in verschiedene Baukörper gegliederte Haus. Der Clou: Dank einer modularen Systembauweise kann das Effizienzhaus durch An- und Zubauten mitwachsen, wenn das Grundstück Platz bietet.

Es geht auch zurückhaltend. So lassen sich etwa sichtbare Holzbauteile wunderbar mit andersartigen und -farbigen Werkstoffen kombinieren, was zu spannungsvollen Architekturen führt. Und mit der Wahl des Daches - Pult-, Flach-, Satteldach oder einer Mixtur aus allem – lässt sich auch überlegen, ob man mit der Umgebung harmonieren oder einen Kontrast setzen will. Aber es gibt ja auch noch lokale Bauordnungen und Vorschriften.

Hat man den Rundgang dann abgeschlossen – und den im Eintrittspreis inbegriffenen kleinen – Katalog studiert, wird klar: Der angebotene allgemeine Architekturgeschmack ist nicht schlecht. Es dürfte für jeden etwas Passendes zu finden sein, sogar ein Tiny House mit Rollen für Mobilititätsbegeisterte.

Überraschend viel Geschmack und Durchdachtes

Fertighäuser sind also keine unansehnlichen Standartbuden mehr oder besonders einfallslos oder spießig. Und man war hier in Poing auch nicht in einem Architektur-Disneyland, sondern hat womöglich sogar eine Million ausgegeben – mit Geschmack.

Bauzentrum Poing, östlich von München. Geöffnet immer Mittwoch bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr, Eintritt 4 Euro inklusive kleiner Katalog und Orientierungsplan, kostenloser Parkplatz, S-Bahn-Anschluss: S2 Grub, www.bauzentrum-poing.de

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