Flüchtige Momente im Münchner Lenbachhaus
Goethe hätte seine Freude an diesen Wolken gehabt – so sanft und frisch aufs blaue Papier geworfen, wie sie nun einmal vorbeiziehen oder weite Teile des Himmels verhüllen. Johann Georg von Dillis hat sein Malerleben lang Wolken skizziert, das heißt, vom Ende des 18. Jahrhunderts an bis 1840. Das ist die Zeit, in der bald alle verrückt waren nach Cirrus, Cumulus und Stratus.
Wolken sind die duftigste Form des Vergänglichen

Mit diesen Begriffen hatte der englische Chemiker und Apotheker Luke Howard 1803 die unterschiedlichen Wolkentypen klassifiziert und sofort Künstler und Wissenschaftler begeistert. Geheimrat Goethe schrieb gleich mehrere Abhandlungen und Gedichte darüber, führte sogar ein Wolkentagebuch. Dillis ließ sich davon zu weiteren Studien inspirieren. Ein gutes Dutzend seiner Wolken hängt jetzt im Lenbachhaus, und man kann sich kaum losreißen von dieser duftig fragilsten Form der Vergänglichkeit.
Für die Kunst ist sie von jeher ein Thema, die Vergänglichkeit gehört zur Natur wie das Wachsen und Gedeihen, und wenn die Endlichkeit im Spiel ist, dann gerne mit moralischem Beigeschmack. Überreifes Obst und irdische Pracht erinnern ja in einer Tour an die Sterblichkeit, wie im Bibelpsalm 90. Memento mori sind im Lenbachhaus allenfalls um ein paar Ecken auszumachen, vielmehr geht es um Bilder, die etwas vorführen, das nicht mehr existiert oder gerade dabei ist, sich zu verabschieden, sich aufzulösen, zu verschwinden.
Selbst die denkmalgeschützte Villa ist irgendwann dahin
Naturgemäß betrifft das fast alles, selbst "Marmor, Stein und Eisen bricht" – also auch denkmalgeschützte Villen wie das Wohnhaus des "Affenmalers" Gabriel von Max. Das hatten ihm die virtuosen Gebrüder Seidl ausgebaut, ein kleines, nach 1875 entstandenes Bild erzählt vom Zauber dieses Refugiums direkt am Wasser, im Garten blühen Blumen, Wäsche trocknet auf der Leine. Und nun dümpelt alles vor sich hin, das historische Gebäude verfällt, weil es die neuen Eigentümer scheinbar nicht kratzt.

Früher lag meditative Ruhe überm Starnberger See
Aber da, wo es besonders schön ist, geht es schneller dahin. Zumindest fällt es eher auf. Der Starnberger See, den der Hamburger Christian Ernst Bernhard Morgenstern in den 1840er Jahren gemalt hat, ist heute ein anderer. Die Berge sind freilich noch da, doch die herrlich meditative Ruhe, das Unverbaute, nur mit ein paar Pflöcken für die Boote, ist lange schon Vergangenheit, verdrängt von Strandbad-Vergnüglichkeiten und veritablem Geschäftssinn.
Thomas Theodor Heines Angler von 1892 könnte auch heute an irgendeinem Bach stehen, mutterseelenallein sogar, aber er würde das nicht im blauen Anzug tun, sondern hätte das üblich gewordene Hightech-Outdoor-Outfit übergeworfen und bestimmt eine Carbonrute mit quietschbunten Blinkern im Einsatz, statt eines simplen Holzsteckens samt Wurm.
Der Rhythmus der Jahreszeiten ist störanfällig geworden
Wenn Gabriele Münter 1901 den menschenleeren Englischen Garten im Schnee fotografiert, dann dürfte man einen entsprechenden Ausschnitt nach wie vor antreffen, frühmorgens allerdings, wenn sich gerade eine Jogger-Lücke auftut. Auch die "Ziehenden Stare", die Jean Bloé Niestlé, der Freund Franz Marcs, 1910 präzise einfing, versammeln sich heute noch vor ihrer großen Reise auf einem Feld. Der jahreszeitliche Rhythmus ist hingegen störanfällig geworden.
Der Klimawandel hat Drive in die Veränderungen gebracht. Die Landschaften, die in der Ausstellung "Mensch – Natur – Kunst" gezeigt werden, betrachtet man längst nicht mehr als nur schön, sondern als bedroht. Sieht man von der Rasanz der Zerstörung einmal ab, ist während der Industrialisierung Vergleichbares zu beobachten. Etwa mit dem Versuch, das Betörende des vermeintlich Unverfälschten festzuhalten und nicht zuletzt beim Wandern oder Waldspaziergang die verlorene Naturverbundenheit wiederzufinden.

Selbstironie mit Skelett - das passt doch!
Und wir? Torkeln sehenden Auges der Katastrophe entgegen. Man könnte meinen, Fritz Winter nahm sie mit seinem Zyklus "Am Wehr" von 1936 surreal vorweg, dabei hatte der verfemte Künstler eine ganz andere existenzielle Bedrohung auszuhalten. Die Weltsicht des brachialen Lovis Corinth ist dagegen nie verkehrt. Mit 38 Jahren hat er sich 1896 ziemlich verlebt und voller Selbstironie neben einem Skelett porträtiert und fortan an jedem Geburtstag den Verfall dokumentiert.
"Was zu verschwinden droht, wird Bild. Mensch – Natur – Kunst" bis zum Frühjahr 2026 im Lenbachhaus, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr
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