Unser Bruder aus dem Eis
Völlig klar: Süßes fördert Karies. Und weil wir sowieso von allem zu viel haben, ächzt unser unbewegter Wohlstandskörper unter „typischen“ Zivilisationszipperlein. Was kaum zu widerlegen ist – außer einer unserer Vorfahren steigt aus dem Eis und macht den großen Nachsorge-Check. So wie Ötzi, den Wissenschaftler seit seiner zufälligen Entdeckung vor gut 21 Jahren Faser für Faser durchgefieselt haben.
Und sicher noch lange nicht am Ende sind. Aktuell wird in den USA untersucht, weshalb der Ötzi so viel Fett im Magen hatte. Doch abgesehen von solchen Details staunt man nicht schlecht über all die Erkenntnisse, die uns diesen 5000 Jahre alten Südtiroler entschlüsseln. In der Ausstellung „Ötzi 2.0“ zeigt die Archäologische Staatssammlung Forschungsergebnisse rund um die Mumie, die wir im Folgenden kurz vorstellen.
Das Besondere: Ötzi, der vollständig bekleidet aus dem Leben gerissen wurde, ist eine natürliche Mumie, d. h., nichts wurde durch Bestattungsriten etc. verändert. Das elastische Körpergewebe dieser sog. Feuchtmumie ermöglicht differenzierte wissenschaftliche Untersuchungen inklusive einer DNA-Extraktion.
Gesundheit: In einer Gemeinschaft der Kupferzeit gehörte man mit 50 zu den Ältesten. Ötzis Körper weist abgenutzte Gelenke auf, verkalkte Blutgefäße, Parodontitis, Karies. Gallensteine deuten auf einen erhöhten Cholesterinspiegel, ein Fingernagel zeigt Stressspuren, der Erreger für die Zeckenborreliose wurde gefunden, und schließlich litt dieser Homo sapiens auch noch an Laktoseintoleranz. Die vielen Tattoos am Körper hatten vermutlich schmerztherapeutische Ursachen.
Ernährung: Bei seiner letzten, kaum verdauten Jause kurz vor dem Tod aß Ötzi Getreide und Fleisch, vermutlich vom Steinbock. Hopfenpollen im Verdauungstrakt sind ein Indiz dafür, dass er im Frühling gestorben ist.
Ausrüstung: Lange vor High-Tech und Trekking-Firlefanz besaß Ötzi das perfekte Survival-Paket. Denn er konnte sich längere Zeit selbst versorgen, hatte mit seinen ausgetüftelten Werkzeugen samt Transportbox für die Glut weit mehr als nur ein Schweizer Taschenmesser im Rucksack.
Kleidung: Die Leggings und der gestreifte Mantel – seinerzeit Missoni, wenn nicht Prada – waren wohl aus weichem Ziegen-, die coole Mütze aus Bärenfell. Und alles äußerst sorgfältig genäht. An der Uni Saarland wird zur Sicherheit noch die DNA der Tierhautreste inspiziert.
Medizin: Ötzi konnte sich zeitgemäß selbst behandeln, der mitgeführte Baumpilz hatte antibiotische Wirkung.
Stellung: Durch die gute Ausstattung und besonders das wertvolle Kupferbeil, dürfte Ötzi eine eher privilegierte Stellung gehabt haben. Möglicherweise war er als Metallsucher unterwegs.
Herkunft: Ötzi wurde zwar im Passbereich zwischen Schnals- und Ötztal gefunden, die Analyse der Strontiumeinlagerungen in den Zähnen, die Form der Beilklingen und dergleichen deuten aber auf eine Abkunft südlich der Alpen.
Tod: Verletzungen zeugen von einem Kampf vor Ötzis Ableben, im linken Schulterblatt steckt eine Pfeilspitze, heftige Blutungen dürften zum Tod geführt haben. Derzeit geht man von Mord aus, doch nicht einmal das Kupferbeil kam abhanden. Es darf also weiter geforscht und spekuliert werden.
DIE AUSSTELLUNG: Multimedial durch Ötzis Leben
Der echte Ötzi muss in seiner zigfach abgesicherten Kühlzelle im Bozener Archäologiemuseum bleiben. Via Live-Kamera kann man in der Archäologischen Staatssammlung (Lerchenfeldstr. 2) aber einen Blick auf ihn werfen. Und – viel spannender – sich in der „Ötzi 2.0“-Schau multimedial und ziemlich anregend über das Leben der Eismumie und alle neuen Forschungsergebnisse informieren. Bis 31. August 2014 - Dienstag bis Sonntag 9.30 bis 17 Uhr, Tel. 211 24 02.