"Trace – Formations of Likeness" im Haus der Kunst: Von Angesicht zu Angesicht

München - Ein ehemaliger Investment-Banker, der an der Wall Street viel Geld verdient hat, dieses seit 2010 in eine Stiftung für Fotografie steckt, und unter anderem Aufnahmen der Occupy-Wall-Street-Proteste von 2011/12 sammelt, muss weder Zyniker noch Büßer sein. Aber ein Maniac: Artur Walther, 1948 geboren und aufgewachsen in Burlafingen bei Neu-Ulm, wohnhaft am Hudson River, ist auf jeden Fall eine ungewöhnliche Sammlerpersönlichkeit.
Arthur Walter: Aus dem Bank-Business ausgestiegen, um die Fotografie zu entdecken
Die Leader-Mentalität eines nicht kleinen Ego steckt noch im lässigen Auftreten des einstigen Goldman-Sachs-Partners. Doch Artur Walther ist zugleich zugewandt und bodenständig. Er stieg 1994 aus dem Bank-Business aus, entdeckte seine Leidenschaft für Fotografie und begann, eine so umfangreiche wie avancierte Kollektion auszubauen.
Unter dem Titel "Trace – Formations of Likeness" präsentiert jetzt das Haus der Kunst ein weites Panorama der Walther Collection, die einst mit Bernd und Hilla Becher und der Neuen Sachlichkeit begann, neben Foto-Kunst auch die Gebrauchs- und so genannte vernakulare Fotografie (mit unbekannter Autorschaft) einbezieht und mit zeitgenössischer Fotografie aus Asien und Afrika noch lange nicht endet.
Haus der Kunst: Lichtbilder aus Afrika nehmen in der Ausstellung viel Raum ein
Sie bietet nicht nur eine Reise durch drei Jahrhunderte und über mehrere Kontinente, sondern ist auch eine indirekte Hommage an den verstorbenen Haus-der-Kunst-Direktor Okwui Enwezor, der für Artur Walther nicht nur wichtiger Berater, sondern auch Freund war. So nehmen denn auch Lichtbilder aus Afrika in der Ausstellung viel Raum ein.
Konsequente Präsentation und horizonterweiternder Ansatz
Technisch führt der Weg dabei von der Daguerreotypie zum Bewegtbild. Der inhaltliche Fokus liegt auf Bildern vom Menschen, im Spannungsfeld von Machtverhältnissen, Repräsentationsmustern und Identitäten - sämtliche Aspekte von Geschlecht und Race inklusive.

Gerade in der Gegenüberstellung von Klassikern wie August Sander etwa mit Porträts, die Seydou Keïta zwischen 1949 und 1960 in seinem Foto-Studio in Bamako/Mali schuf, ist die Präsentation ebenso konsequent wie der Ansatz horizonterweiternd.
Fast schmerzhafter Ernst im Blick der Porträtierten
Wenn auch das Konzept der beiden sich deutlich unterschied: Während Sander seine Protagonisten als Stellvertreter ihres Standes ablichtete, war Keïtas Ziel das individuell repräsentative Bildnis. Wer in Bamako etwas auf sich hielt, ließ sich bei ihm verewigen. Auffallend ist der fast schmerzhafte Ernst, mit dem die Porträtierten in die Kamera blicken. Dagegen ist Malick Sidibés tanzendes Paar in Bamako an Weihnachten 1963 von heilsamer Entrücktheit.
Leerstellen zwischen den Konterfeis symbolisieren die Lebensgefahr
Gleich am Anfang begegnet einem neben Karl Blossfeldts "Urformen der Kunst" die eindrucksvolle Serie des nigerianischen Fotografen J. D. Okhai Ojeikere, der 1968 begann, die unendlich vielfältigen Flecht-Frisuren der Frauen in seiner Heimat zu dokumentieren.

Muhammad Ali, Patrice Lumumba, Nelson Mandela – in der Serie "African Spirits" schlüpft Samuel Fosso aus Kamerun selbst in Posen und Habits prägender People-of-Color-Persönlichkeiten. Zanele Muholi wiederum porträtiert seit 2006 in "Faces and Phrases" die südafrikanische LGBTQ+- Community. Leerstellen zwischen den Konterfeis symbolisieren die Lebensgefahr, die das für die Dargestellten bedeutet.
Fotografie aus China ist wesentlicher Teil der Kollektion
Beklemmend sind die hilflosen Drohgebärden von Kindersoldaten der Mai-Mai-Miliz in der Demokratischen Republik Kongo vor der Kamera von Guy Tillim. Und auch Aida Silvestris Serie "Even This Will Pass" über äthiopische Migranten, die es nach London verschlagen hat, brennt sich ein: Unscharfe Porträts, denen die jeweilige Fluchtroute eingenäht ist.
Fotografie aus China ist ebenfalls wesentlicher Teil der Kollektion, darunter Xu Yongs eindringliche Serie "This Face": Er begleitete das Gesicht einer Sexarbeiterin in Peking durch den Tag und macht alle Nuancen zwischen Müdigkeit und Abstumpfung sichtbar. Yang Fudong wiederum hielt ein fast apokalyptisch wirkendes ländliches China fest, und Sze Tsung Nicolás Leong und Luo Yongjin dokumentieren den rücksichtlosen Bau-Boom asiatischer Megalopolen.
"Trace – Formations of Likeness": Trigger-Warnungen gibt's auch
Und auch Tatorte (post-)kolonialer Grausamkeiten sind festgehalten, etwa wenn Santu Mofokeng Massengräber in Mosambique aufspürt und Pieter Hugo in "Permanent Error" die Menschen inmitten der gefährlichen Müllkippe mit Elektroschrott in Accra porträtiert, auf der sie leben.
Nicht zuletzt gibt es in "Trace" einige Trigger-Warnungen, nicht nur bei RongRongs splitternackten Kommunarden aus China, sondern auch bei rassistisch-kolonialistischen Postkarten und vermeintlich wissenschaftlichen Physiognomie-Studien von "Eingeborenen".
Die südafrikanische Foto-Künstlerin Candice Breitz macht dabei die Gefahr deutlich, in der der eurozentrisch gefärbte Blick auf das fremde, faszinierende Andere latent schweben bleibt. In "Ghost Series" löscht sie die Identität schwarzer Südafrikanerinnen in traditioneller Tracht mit Tipp-Ex aus, so dass nur die Folklore sichtbar ist.
Bis 23. Juli, Mo/Mi/Fr-So 10 bis 20, Do bis 22 Uhr; jeden letzten Freitag im Monat 16 bis 22 Uhr, Eintritt frei