"The Awareness Muscle Training Center" von Thierry Geoffroy

München - Ist die Villa Stuck Corona-bedingt oder wegen sinkender Besucherzahlen in eine städtische Muckibude umgemodelt worden? Der städtische Kulturreferent Anton Biebl turnte während der Presseführung im Atelier von Franz von Stuck an Fitnessgeräten. Probt er die Umschulung auf den vakant gewordenen städtischen Gesundheitsminister-Posten?
Nein. Die Villa hat für drei Wochen wieder eine populäre experimentelle Ausstellung lanciert, die auch Museumsmuffel ins Haus lockt. Diesmal nicht mit Kaffee, Kuchen und kostenlosen Katalogen (wie bei der Hirschhorn-Ausstellung 2018/19), sondern mit extra gebauten Sportgeräten und (vielleicht) auch mit den knalligen neonfarbigen Klamotten der Trainerinnen und Trainer, die mit fachkundiger Unterstützung beim Muskelaufbau behilflich sind.
Besucher können an den Fitnessgeräten trainieren
Dem Künstler Thierry Geoffroy, bekannt als "Colonel", geht es um einen ganz speziellen Muskel - aber nicht der, an den Sie womöglich denken. Der 1961 geborene Franzose bezeichnet ihn als "Awareness Muscle", also Bewusstseinsmuskel. Seine ganze Ausstellung heißt daher: "The Awareness Muscle Training Center".
Die Geräte im Erdgeschoss umgeben Plakate, die den aktuellen Zustand der Welt und ihre Notstände und Probleme thematisieren. Zu lesen ist etwa: "Lift your Responsability", "Push back the Propaganda" oder "Train your active Empathy Muscle".
Während des Sports bei Stuck wird man zu diesen gesellschaftspolitischen Themen befragt. Ein giftig gelbes gigantisches Längsformat zeigt stilisierte Boote im Wasser und die (übersetzte) Aufschrift: "Passiver Zeuge zu sein, macht mich kriminell." Damit ist unser ganz gewöhnliches Verhalten in der Flüchtlingskrise gemeint. Vor dem Plakat stehen zwei Rudergeräte, die beim Trockentraining (von der Werbung versprochen) 80 Prozent aller Muskeln beanspruchen.
Training für das Bewusstsein
Damit auch dem letzten Zweifler klar wird, was für eine Sorte Awareness-Training das ist, hat der Künstler vor die Maschinen ein Foto einer realen Mittelmeer-Bootsituation an einen Pflock genagelt: Gekenterte Boote, ertrinkende Menschen, die noch einen Arm aus dem Wasser strecken. Die sportiven Foltergeräte hat er auf Teppichen placiert, deren Motive an die (Aus-) Wirkungen des Klimawandels erinnern: Versteppung, Feuer- und Wirbelstürme, versinkende Inseln, kaputte Korallenriffe und so weiter.
Bekannt geworden ist Geoffroy, der 1989 mit seinem Manifest die Basis seiner partizipatorischen künstlerischen Arbeit festlegte, mit seinen seit Jahrzehnten weltweit durchgeführten Critical Runs. Dabei diskutieren die Teilnehmer während des Laufens festgelegte Fragestellungen. 100 Debatten in 30 Ländern haben bislang stattgefunden. 40 Filmaufnahmen sind im Obergeschoss der Villa im kreisrund geformten Energy Room zu bewundern.
Eingeladen wurde Geoffroy unter anderem deshalb, weil Biebl ihn offensichtlich schätzt. Münchens Kulturreferent hat zu seinem Amtsantritt vor einem Jahr sieben Handlungsfelder genannt. Darunter die Demokratie stärken, Diversity leben, den digitalen Wandel gestalten. Die sollen nun mit Hilfe des Franzosen und seiner Aktion öffentlich diskutiert werden. Sportlich.
Villa Stuck, bis 20. September, Di bis So 11 bis 18 Uhr sowie Fr., 4. September, 11 bis 22 Uhr