Stachel – bis ans bittere Ende

In Augsburg ist Jörg Immendorff eine feine Schau bereitet. Ein Gespräch mit Tilman Spengler über den Kunst-Provokateur
Christa Sigg |
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Die feisten Babys neben dem Eingang dürften bald nach Luft japsen in ihrer Plastiktüte. Putzig ist das jedenfalls nicht, was uns Jörg Immendorff da serviert. Aber der 2007 verstorbene Künstler, an den jetzt im Augsburger Glaspalast eine 50 Werke umfassende Schau erinnert, wollte ja auch provozieren, anecken, das Hirn des Betrachters durchschütteln. So einer braucht einen ruhigen, entspannten Gegenpart, einen wie Tilman Spengler. Der Schriftsteller war eng mit Immendorff befreundet – und hat für den Ausstellungskatalog sieben vielsagende Geschichten über den unbequemen Gefährten geschrieben.

AZ: Herr Spengler, wenn Sie an Jörg Immendorff denken, wen sehen Sie vor sich: den Mann im Rollstuhl oder den dynamischen Rabauken?
TILMAN SPENGLER: Wenn er mir im Traum begegnet, dann rabaukt er im Rollstuhl.

War er wirklich so widerspenstig?
Ja, denn er hatte den Stachel im Fleisch gepachtet und machte sehr virtuos davon Gebrauch. Wer es aushielt, war stark. Und wurde gestärkt.

Hat Immendorff seine Umgebung ausgetestet?
Es ist eher so, dass er sich relativ wenig Zurückhaltung auferlegte, anderen Leuten zu sagen, was er dachte. Andererseits hatte er nicht umsonst diese großen Ohren, die Sie auf allen seinen Selbstporträts sehen.

Er konnte zuhören?
Er war leidensfähig, auch mitleidensfähig. Und das zieht sich wie ein honiggoldener Faden durch die Biografie.

Wie haben Sie ihn eigentlich kennen gelernt?
Das erste Mal versuchten wir gemeinsam gegen den Besuch eines südvietnamesischen Staatspräsidenten zu demonstrieren. Er, indem er Backsteine schleppte, ich, indem ich im Bonner Rathaus die Gobelins vor den Wasserwerfern der Polizei schützte. Das dürfte 1974 oder 75 gewesen sein.

Sehr verschiedene Aufgaben.
Ja, wir hatten auch nur einen lockeren Kontakt. Wirklich näher lernten wir uns erst 1999 beim Staatsbesuch Gerhard Schröders in Asien kennen. Wir beide waren „Sondergäste Kultur“ in der Kanzlermaschine. Und eine Kanzlerreise schweißt zusammen!

Er war Ex-Maoist, Sie sind Sinologe. Wie darf man sich Ihre Gespräche über China vorstellen?
Bei Ausstellungen Immendorffs in China musste ich immer mit den Zensurbehörden verhandeln, ob er nun Mao ausstellen durfte oder nicht. Auf seinen Bildern taucht Mao ja häufig auf. Aber sein Maoismus war natürlich ein idealistischer, der da sagt: Der Mensch braucht nur eine große und eine kleine Hose, eine große und eine kleine Jacke… Ich habe ihm milde versucht beizubringen, dass nicht alle Chinesen so denken wie deutsche Maoisten.

Sind Sie aneinander geraten?
Politisch überhaupt nicht. Eigentlich auch sonst nie so richtig.

Immendorff hat eine beträchtliche Wandlung durchgemacht: vom Revoluzzer zum „Staatskünstler“. Immerhin hat er Kanzler Schröder verewigt.
Er war nicht nur Maoist, sondern einer der empathischsten Patrioten, die es in Deutschland gab. Die Einheit Deutschlands war ihm mindestens so wichtig wie die Abschweifungen in fernöstliche Sozialismus-Experimente. Und Immendorff war ein vehementer Gegner eines deutschen Einsatzes im Irakkrieg, da lag er natürlich auf der Seite des damaligen Bundeskanzlers. Das Bild ist also schon komplexer.

Es scheint, als hätte Immendorff an der deutschen Teilung regelrecht gelitten.
Man kann ihn historisch sicher in einer deutschen Tradition verorten, etwa der des jungen Dürer, aber auch der Bauernaufstände. Andererseits muss man bedenken, wie sehr ihn ein Zeichner wie William Hogarth mit seiner Satire auf die sozialen Zustände beschäftigt hat. Immendorff verstand sich selbst vor allem als erzählender Zeichner.

Das Erzählende wäre ja auch das verbindende Moment zwischen Ihnen beiden?
Ja, das ist so.

Wenn man Ihre Erzählungen über Immendorff liest, spürt man, dass Sie ihn gut kannten. Wie viel ist denn wahr?
Natürlich kann es nicht stimmen, wenn ich in der Erzählung „Ratinger Hof“ schreibe, dass dort Max Beckmann auftaucht. Nicht ohne Grund habe ich den Begriff der erzählerischen Wahrheit gewählt. Aber könnte man an der Zeit drehen, hätte so ein Treffen wahr werden können.

Bei Immendorff denken viele an Kokain, Prostituierte, die ganzen Exzesse, als er schon todkrank war.
Womöglich bin ich der einzige seiner Freunde, der ihn den ganzen Prozess über begleitet hat. Anscheinend hat niemand verstanden – und das ist sehr traurig –, dass sich ein Mensch in einer solchen Situation auch zu Handlungen hinreißen lassen kann, die den Konventionen nicht entsprechen.

Sprachen Sie darüber?
Das taucht ja auch in den Geschichten auf: „Die letzten fünf Weiber waren noch gar nicht da“, sagt er da. Er hatte keine falsche Scham. Für ihn waren das Randbereiche, in die er sich gerne begeben hat.

Abgesehen von den späten Arbeiten wimmeln Immendorffs Bilder vor Figuren, Anspielungen, Querverweisen.
Er war auf eine bestimmte Weise radikal, aber auch schrecklich ängstlich. Er wollte seine Freunde und Vorbilder nicht verlieren, deshalb tauchen die auch immer wieder auf. Exemplarisch ist das in der Café-Deutschland-Serie. Ein Bild war für ihn nicht da, wenn nicht alle seine Freunde versammelt waren. Das hatte etwas Rührendes.

Waren Sie auch ein Tröster?
Natürlich habe ich aufmerksam zugehört – oder auch mal die Ohren verschlossen, wenn’s mir unerträglich wurde. Aber im Gespräch mit ihm fielen einem unglaubliche Dinge ein. Da war ein großer Topf Energie.

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