Reizvolles Vergehen
"Die Wirklichkeit der Kunstwerke zeugt für die Möglichkeit des Möglichen“ – wer mit Adorno an den Start geht, hat Ambitionen. Selbst wenn sich diese Worte aus schrappligen ausrangierten Neonlettern zusammen setzen und von ihrem exponierten Platz hoch oben unter der Decke bald herab zu krachen drohen. Michael Hofstetters Zitatspielerei leuchtet Besuchern gleich im ersten Raum der „Biennale der Künstler“ entgegen. So heißt die Nachfolge-Schau der Großen Kunstausstellung, die jetzt den maroden Westflügel im Haus der Kunst einnimmt.
Wer mag, beginnt im Schlepptau des Frankfurter Ästhetik-Gurus über das Rätsel des Seienden und der Kunst zu schwadronieren. Das dürfte Okwui Enwezor, dem diskursverliebten Hausherrn, behagen. Man kann sich aber auch ganz ungeniert über die Luftschlangen amüsieren, die an den Buchstaben baumeln. Und damit markiert Hofstetters anspielungsreiche Arbeit gleich zum Auftakt die Spannweite dieser mit „Vanity Flair“ betitelten Ausstellung.
Totenköpfe und Blütenstempel
Der Relaunch der 60 Jahre alten Künstler-Schau gibt sich betont knackig, vielfältig, zuweilen bunt und schräg. Wer den unübersichtlichen Wust der vergangenen Auftritte im Gedächtnis hat, ist angenehm überrascht. Die Zahl der geladenen Künstler hat sich deutlich reduziert, einzelne Positionen können ausführlicher präsentiert werden, als das früher im Sinne eines „Hier muss jeder zum Zug kommen“ der Fall war.
Per se vermag das die Qualität noch nicht zu steigern, aber die thematische Einschränkung – im Untertitel geht es um „Luxus und Vergänglichkeit“ – führt zu wohltuenden Konzentrationen. Dabei sind mit Malerei, Skulptur, Installation, Objekt, Performance, Fotografie und Video sämtliche Genres vertreten. Und dieses Pendeln zwischen dem Flair der Eitel- und Nichtigkeiten – Vanity – und der Vergänglichkeit samt unausweichlichem Tod öffnet ein weites Terrain, manche Variante hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition.
Vera Mercers fast barock anmutendes Stillleben „Red headed woodpecker“ etwa, mit einem toten Specht, überreifem Käse und Gläsern, die an die alten Niederländer erinnern, ist ein klassisches Memento mori. Allerdings in der fotografierten Version.
Und gleich im Hauptraum kreist Karl Fritsch um die sieben Todsünden – mit sieben Ringen, die man sich vermutlich nur heftig schaudernd überstreifen kann. Daneben hängen Doerthe Fuchs’ Ohrgehänge aus geschwärzten Silber-Schädeln und aus Knochen geschnitzten Blütenstempeln, die an Sex-Toys erinnern. So reizvoll verspielt und doch hintersinnig treffen Tod und Eros selten aufeinander.
Verwesende Äpfel und Chopin
Direkt gegenüber lässt Rose Stach eine Frau lustvoll in Schmuck wühlen. Das Video davon führt in den kaleidoskopischen Spiegelungen zu grotesken (De)Formationen. Daneben sticht die riesige Hochzeitstorte von Patricia Wich ins Auge. Auf der thront ein Skelett-Pärchen, das für den Titel „Selbst der Tod konnte uns nicht scheiden“ steht.
Zwischendurch werden Vergänglichkeit und Tod dann leider auch mit der Brechstange serviert: In Daniel Brägs Vitrinen-Kühlschränken verwesen Äpfel. Ein paar Räume weiter erinnert Stefanie Unruh mit einem Animationsfilm aus Porträtzeichnungen an 16 ermordete Journalisten – Anna Politkowskaja war der Ausgangspunkt. Das rührt an, dazu läuft allerdings das traumhaft schöne erste Chopin-Nocturne aus op. 72, was dann doch ein bisschen viel des Guten ist.
Dennoch, der längst fällige Relaunch ist gelungen, die Biennale sinnlich, abwechslungsreich, und man verlässt sie keineswegs deprimiert. Im Gedächtnis bleiben nicht nur die verführerisch roten Himbeeren aus Vera Mercers Stillleben. Auch Hofstetters Buchstaben haften. Ob sie uns dazu verleiten, Adornos „Ästhetische Theorie“ wieder in die Hand zu nehmen, müssen wir uns erst noch durch den Kopf gehen lassen.
Biennale der Künstler, bis 4. Oktober, täglich von 10 bis 20 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr; Eintritt 7, ermäßigt 5 Euro
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