Neues Museum Nürnberg: Wandverkleidung mit Biss
Den Stempel hat man immer bei sich, und das Motiv ist gleich noch ein Schenkelklopfer: das Gesäß! Ausgerechnet auf einer Tapete, also einem gut sichtbaren Stück Papier oder Stoff, das gemeinhin größere Wandpartien bekleidet. Abigail Lane hat sich vor 30 Jahren diesen Popo-Abdruck-Scherz erlaubt, jetzt gehört ihr "Bottom Wallpaper" zur dezentesten unter sechs raumfüllenden Installationen im Neuen Museum Nürnberg.
Künstlertapeten sind selten in Ausstellungen zu sehen. Dass sie nun sogar im Mittelpunkt stehen, ist einerseits der neuen Direktorin Simone Schimpf zu verdanken, die schon in Ingolstadt mit einer originellen Schau nach der anderen verblüfft hat. Und zum anderen den unerschöpflichen Beständen der Sammlung Goetz. Das vor zehn Jahren dem Freistaat übereignete Museumsgebäude in München-Oberföhring harrt seiner Sanierung. Der Termin steht in den Sternen. Angesichts dieser Misere ist die seinerzeit festgezurrte Kooperation mit dem Nürnberger Haus fürs Zeitgenössische erst recht zum Segen geworden. Zumal der Auftritt im zum Kulturpalast "Lovecraft" umfunktionierten Kaufhof am Stachus auch gleich wieder abgeblasen wurde.
Sarah Lucas' fauchender Drache wäre die angemessene Reaktion auf diesen sehr eigentümlichen Einsatz von Steuergeldern. Wenn man freilich genauer hinsieht, besteht das Vieh aus unendlich vielen, die Staatskassen füllenden, Filterzigaretten. Das ist ein wiederkehrendes Material, bzw. Motiv in den frühen Arbeiten der Künstlerin, die wie Abigail Lane den mittlerweile nicht mehr ganz so jungen Young British Artists zugeordnet werden darf. Alltägliches wird von Lucas gnadenlos umgedreht, oben und unten geraten durcheinander, die Geschlechterrollen ohnehin. Und wenn aus Kippen kugelige weibliche Brüste entstehen, konkret "Tits in Space", hat das eine ganz eigene, sarkastisch-sexuelle Qualität.
Überhaupt geht es auf diesen Tapeten nicht eben zahm zur Sache. Was aus der Ferne an manierliche Illustrationen aus dem Märchenbuch erinnert, legt den Finger in Wunden oder entpuppt sich als saftige Stichelei. Rodney Graham etwa bildet auf "City Self / Country Self" einen Großstadt-Dandy ab, der einem Provinzler verächtlich in den Hintern tritt. Entsprechendes läuft im dazugehörigen Slapstickfilm in Endlosschleife, so, als würde man aus den alten Klischees partout nicht ausbrechen können.
Und Robert Gober spielt auf Traumata der US-Gesellschaft an, indem er Bilder eines gehängten schwarzen und eines schlafenden weißen Mannes abwechselnd nebeneinanderstellt. Im Hirshhorn Museum in Washington haben die aus einem politischen Cartoon und einer Werbeanzeige entnommenen Typen für einige Aufregung unter den afrikanisch-amerikanischen Mitarbeitern gesorgt. Sie empfanden die Darstellung als verletzend - Gober wollte einfach nur auf Missverhältnisse weisen. Das zeigt zumindest das Diskussionspotenzial solcher Tapeten.
Auch in Andy Hopes wildes Multiversum aus Comic- und Science-Fiction-Helden mischen sich apokalyptische Szenen. Doch genauso Hoffnungsvolles. Eindimensional ist diese künstlerische Flachware jedenfalls nicht und von außen sowieso eine Schau. Wer sich dem Neuen Museum mit seiner Glasfassade nähert, hat alle "tapezierten" Räume kaleidoskopisch im Blick.
Neues Museum Nürnberg, Klarissenplatz, bis 1. September 2024
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