Münchner Lenbachhaus: Auguste Herbin geht farbstark in die Abstraktion
Sein Name ist selbst Kunstgängern nicht geläufig. Doch schon nach den ersten Bildern im Münchner Lenbachhaus fragt man sich, wie das sein kann. Die (Wieder)Entdeckung Auguste Herbins beginnt auch gleich mit einem eindringlichen Gemälde von 1907, das man freilich schon durch den Porträtierten kennt: Erich Mühsam ist bei einem Abstecher in Paris so famos getroffen, dass die Darstellung jede Fotografie hinter sich lässt und dabei künstlerisch aufregend inszeniert ist: vor fliederfarbigem Hintergrund und mit kardinalrotem Halstuch unter dem auffallend orangen Bart.
Herbin ignoriert Mühsams rotes Haupthaar und verpasst dem Bohème-Anarchisten eine schwarze Lockenmähne. Das macht sich in der Komposition besser und demonstriert auch schon, dass dieser Maler ein Händchen für das Kombinieren von Farben hat. Er orientiert sich an Paul Cézannes Bildaufbau und an den sich spindelig zergliedernden Körpern.
Im Bateau-Lavoir übernimmt er Picassos Atelier
Aber das tun in dieser Zeit fast alle. Und Herbin ist mittendrin im Avantgarde-Geschehen, bewegt sich zwischen Picasso und Juan Gris, Kees van Dongen oder Otto Freundlich und malt sich selbst um 1910 bereits so reduziert markant, dass einem die Porträts der Neuen Sachlichkeit in den Sinn kommen.
Dabei musste sich Herbin regelrecht zur Kunst durchbeißen. 1882 wird er im nordfranzösischen Le Cateau-Cambrésis nahe der belgischen Grenze in eine Weberfamilie geboren. Geld für Augustes Interessen ist nicht da, und als es den Autodidakten 1901 nach Paris, ins Zentrum der Kunst zieht, folgen karge Jahre. Daran ändert sich auch nichts, als er 1909 im heruntergekommenen Bateau-Lavoir das Atelier übernimmt, in dem Picasso seine „Demoiselles d’Avignon“ ausgebrütet und damit den Kubismus eingeläutet hat.

Auguste Herbin experimentiert genauso mit dem Aufdröseln in geometrische Formen, doch im Gegensatz zu Picasso und Georges Braque favorisiert er eher kräftige Farben und tendiert zur Fläche wie im herrlich durchmusterten Stillleben von 1913. Bis zum Ersten Weltkrieg bleibt das eine gegenständliche Kunst, dann entstehen 1915 die ersten abstrakten Bilder. Herbin nennt sie „Compositions“ und pendelt zwischen Konstruktivem und Dekorativem, das stellenweise an eine Melange aus Inka-Kunst und Art Deco denken lässt. Drei ungewöhnliche Hochformate bilden im Lenbachhaus ein beeindruckendes Triptychon.

Virtuos wechselt Herbin die Stile
Dass der Galerist Léonce Rosenberg auf Herbin aufmerksam geworden ist, verschafft ihm endlich regelmäßige Einkünfte. Zwar in überschaubarem Maße, doch für den zurückhaltenden Künstler, der den Pinsel kaum aus der Hand legt, tun sich neue Möglichkeiten auf. Man ist überhaupt erstaunt, wie schnell und virtuos sich seine Kunst verändert, wie er von den postimpressionistischen Anfängen um 1900 ohne großes Vertun ins farbwild Fauvistische gleitet – und das fast vor den Fauvisten. Wie er den Kubismus auf seine ganz eigene koloristische Weise mitprägt, um nach einer durchaus intensiven Auseinandersetzung mit der Abstraktion in den 1920er Jahren, also zeitgleich mit dem Bauhaus und der De Stijl-Bewegung, wieder zur Figuration zurückzukehren.

Der Maler ist kein Vermarktungstalent
Die „Frau mit Kirschbaum“ von 1924 und die ein Jahr später entstandene „Landschaft mit rotem Haus“ überraschen. Solche Bilder lassen sich allerdings gut verkaufen, etwa an die niederländische Sammlung Kröller-Müller. Das sorgt für eine wirtschaftliche Entspannung, dann besinnt sich Herbin 1927 – da hat er sich vom Galeristen Rosenberg getrennt – doch wieder auf die Abstraktion. Und diese Werke aus den späten 20er und 30er Jahren sind vielleicht die schönsten in diesem Œuvre. Die Ideen seien auch ganz anders als die vorher verfolgten, schreibt der Maler, und: „Ich kümmere mich nicht um meinen Ruf, und weder Zufall noch Spiel noch Kalkül bestimmen meine Wandlung“.

Auch das erklärt, weshalb Herbin nicht die Rolle spielt, die ihm eigentlich zusteht. Das Klappern, das zum Handwerk gehört, liegt ihm nicht. Dabei hatte er schon in seiner frühen Phase gute Kontakte. Der in Paris tätige Kunsthändler und Sammler Wilhelm Uhde vermittelt ihm einen Besuch in Hamburg und bittet Alfred Lichtwark, den visionären Direktor der Hamburger Kunsthalle, Herbin bei seinem Malaufenthalt zu unterstützen.
Herbin interessiert sich selbst für Goethes Farbenlehre
Er lernt Sammler kennen, die Bilder erwerben, die Münchner Galerie Goltz hat Herbin zeitweise im Programm. Ohnehin kann er in Frankreich regelmäßig ausstellen, ganz ungeschickt ist der Künstler also nicht, aber letztlich will er sich auf sein Schaffen konzentrieren. Ob er nun malend durch die Lande reist oder Möbel und Masken herstellt, ob er sich auf Kalkmörtel in der Freskotechnik versucht oder sich in Goethes Farbenlehre vertieft. Dass es ihn irgendwann in diese romantischen Gefilde ziehen würde, ist bei einem so grandiosen Koloristen nicht abwegig.
„Auguste Herbin“, bis 19. Oktober 2025 im Lenbachhaus, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr
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