Mit welchen Bildern lebt der Sammler Lothar Schirmer?
Manchmal passt es einfach. Und das hat in diesem Fall nicht nur damit zu tun, dass Lothar Schirmer in bald 65 Jahren eine fabelhafte Sammlung zusammengetragen hat und das Kallmann-Museum in Ismaning mittlerweile zu einem der schönsten Ausstellungsorte Münchens und Oberbayerns geworden ist. Man muss ja auch harmonieren - oder sich vertrauen. Dann wird aus einer Konzentration vieler guter Namen eine ziemlich aufregende Folge. Eine Folge, die in sich auch immer wieder mit erhellenden Bezügen aufwartet.
Zwischen Peter Handkes fitzelig klein gezeichneten Momenten zum Beispiel, die er eigentlich nur für seine Frau Sophie festgehalten hat, und Philipp Otto Runges fragilen Blumen-Scherenschnitten. Ein entsprechendes Runge-Blatt taucht dann auch noch in einer Hommage Hanne Darbovens an den bedeutenden Romantiker auf, umspült von ihren typischen beschriebenen Blättern.
Handke, Runge und Darboven? Können prima miteinander!
Im Kabinett mit diesen Gegenüberstellungen flirrt es leise, alle können irgendwie miteinander, da ist keine ausladende Geste, die dem Vis-à-vis zu nahe kommt, eher ein bedächtiges, tendenziell sogar knauseriges Füllen von Quadratmillimetern und -zentimetern im eigenen Garten.

Schirmer stand Darboven sehr nahe, und er ist gut mit Handke befreundet. Davon kündet der erst im Februar, wenige Tage nach Schirmers 80. Geburtstag entstandene „Eislaufplatz, Prinzregentenstraße“. Man meint, solche Verbindungen wahrzunehmen, und dieser Eindruck stellt sich häufig ein. Auch um die Ecke, wenn es mit Andy Warhols „Flowers“-Siebdruck oder Michael Weselys langzeitbelichteten Blumenvasen noch einmal richtig floral wird und dieser Reigen ausgerechnet mit Kurt Schwitters überraschendem Rosenstillleben - ja, so etwas gibt es - von 1913 endet.
Der Sammler hat sich zurückgehalten
Allerdings war es nicht der Sammler, der die Auswahl getroffen hat, sondern Museumsleiter Rasmus Kleine, und das mit sicherem Gespür. Darf man Schirmers langjährigem Team glauben, dann hat der durchaus entscheidungsfreudige, kritische Chef kein einziges Mal reingeredet. Vertrauen eben. Und der Wunsch, dass das Interesse eines kunstbesessenen Schülers, Studenten, Verlegers nachvollziehbar wird. Das ist im Lenbachhaus, wo Joseph Beuys’ Environments und Objekte aus Schirmers Kollektion fest in die Dauerausstellung integriert sind, nur bedingt möglich.

Schon mit 17 ist Schirmer zu Beuys gepilgert
Die Besuche des 17-jährigen Pennälers bei Beuys, später auch bei Cy Twombly und die irritierten Reaktionen der Familie auf die ersten, teils noch gestundeten Ankäufe sind oft genug erzählt worden. Und natürlich nehmen die feinen Beuys-Zeichnungen und Twombly-Polaroids und Xerokopien einen zentralen Raum ein, in den sich auch Spezl John Cage mit seinen krakelnd kreiselnden Meditationen über den Steingarten des Ryoan-ji-Tempels in Kyoto geschlichen hat.

Das schönste Bild der Schau? Eine Bibliophile auf dem Sofa
Das ist ungemein stimmig. Sogar das Nebeneinander von Jeff Walls Blick auf eine Straße mit riesiger Pinie und Cindy Shermans gerne mal verstörenden Maskeraden geht in Ordnung, wenngleich alle Solitäre bleiben und am liebsten mit sich selbst sprechen. Shermans bedrohliche Zombie-Frauen nehmen ihre Betrachter immerhin noch maliziös lächelnd ins Visier, während sie sich als Madonna mit angepapptem Busen so sehr auf ihren Job als Muttergottes konzentriert wie Jean-Étienne Liotards „Lesende Frau in orientalischer Kleidung“ auf ihr Buch. Die Bibliophile aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ist eine Ausnahme und vielleicht das schönste Bild einer Schau, die zum größten Teil dem Zeitgenössischen gilt.
Schirmers Einsatz für die Fotografie war wegweisend
Fast spannender als das Gros der Malerei und der Skulptur und letztlich auch wichtiger ist Schirmers frühes Engagement für die Fotografie: für die Neusachlichen und besonders deren Titan August Sander. Auf dem Schreibtisch des im Januar verstorbenen Oliviero Toscani lagen die „Menschen des 20. Jahrhunderts in einer mächtigen Schirmer/Mosel-Ausgabe - „das ist meine Bibel“ bekannte der Mailänder Fotograf.
Auf Sander folgen logischerweise dessen geistige Eleven Bernd und Hilla Becher mit ihren Fördertürmen, Kohlebunkern und Fachwerkhäusern sowie deren hochkarätige Schüler, die im Kallmann-Museum zu einer Art Klassentreffen zusammengekommen sind. Die „Struffskys“, wie die erfolgreichsten in den USA bald genannt wurden, also Thomas Struth, Thomas Ruff und der für seine überbordenden, am Computer aus zahllosen Einzelfotografien zusammengepuzzelten Monumentalbilder bekannte Andreas Gursky. - In Ismaning ist er noch mit überschaubaren Landschaften vertreten.

Struth und Höfer nehmen Kulturtempel ins Visier
Thomas Struth kann dagegen seine Anfänge in der Malerei nicht ganz verbergen, ihn hat es regelmäßig in die großen Kunsttempel gezogen, wo er anrührenden bis komischen Besucher-Bild-Beziehungen auf der Spur war. Die Ergebnisse sind wie die Bibliotheken oder Theater seiner Kollegin Candida Höfer längst ikonisch. Und nicht nur, weil sie rund um den Globus in Ausstellungen zu sehen waren und keine ernsthafte Fotosammlung ohne sie auskommen will, sondern auch, weil Lothar Schirmer gerade die Becher-Leute und viele andere Künstler von Martin Assig bis zu Cornelius Völker über Bildbände in die Welt hinaus geschickt hat.
Nicht alle konnte und wollte er sammeln, ein Verleger hat freilich auch Kompromisse einzugehen. Aber das zu sehen, womit sich Schirmer privat umgibt, ist reizvoll. Erst recht in dieser klugen, facettenreichen Auswahl.
„Sammlung Lothar Schirmer. Zeitgenössische Kunst von Cy Twombly bis Peter Handke“ im Kallmann-Museum Ismaning, Schlossstraße 3b, Eröffnung mit dem Sammler am Sonntag, 5. Oktober, um 15 Uhr, dann bis 1. Februar 2026, Dienstag bis Sonntag von 13 bis 17 Uhr, Katalog (Schirmer/Mosel, 104 Seiten)
- Themen: