Michael Semff: Michelangelo griffbereit

Michael Semff, seit dem Jahr 2000 Direktor der Staatlichen Graphischen Sammlung, geht in den Ruhestand. Die AZ hat mit ihm ein Interview zum Abschied geführt.
Christa Sigg |
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München - Michael Semff ist ziemlich vergnügt, und man hat das Gefühl, gleich könnte er durch die lichtdurchfluteten Weiten seines Büro tänzeln. „Wussten Sie, dass es auch einen Frühlings-Coq au vin gibt?“. Und während man noch überlegt, ob das jetzt ein beiläufiger Gourmet-Test sein könnte, zählt er schon die Zutaten auf: „Grüner Spargel und Kohlrabi zum Huhn … Ziegenfrischkäse, das klingt doch gut, oder?“

Um die bald kräftig anwachsende Freizeit dieses Genießers muss man sich keine Sorgen machen. 23 Jahre lang war der Kunsthistoriker an der Graphischen Sammlung, 15 davon als Direktor – und immer mit Leidenschaft, besonders für die Kunst des 20. Jahrhunderts. Ende Mai sagt er Adieu.

AZ: Herr Semff, Ihr Reich liegt im Verborgenen. Das macht es für einen Museumsmann nicht einfach.

MICHAEL SEMFF: Aber wir können hier jederzeit an die Schubladen gehen und die Originale herausnehmen. Von der Michelangelo-Zeichnung bis zum Warhol-Siebdruck.

Im Museum wird ein Beckmann-Triptychon allerdings besser wahrgenommen.

Gerade dann ist es etwas Besonderes, den Leuten Schätze zu zeigen, die sie sonst nie zu sehen bekommen. In einer rasanten Zeit hat das übrigens auch eine erzieherische Qualität: Bei uns muss man genau hinschauen, jetzt der Vuillard – das ist eine absolut nahsichtige Kunst.

Die Pinakothek der Moderne hat Ihr Publikum sicher verändert.

Es ist vor allem mehr geworden! Natürlich müssen wir uns gegen eine optisch starke Konkurrenz behaupten. Wenige Meter neben unseren intimen Zeichnungen läuft der Paternoster der Neuen Sammlung mit oft farbstarkem Design. Unser Vitrinen-Korridor wird trotzdem nicht gestört. Sie können da in Ruhe barocke Blätter genießen oder jetzt Zeichnungen von Philip Guston. Genau die Mischung und die Nähe der unterschiedlichsten Objekte zueinander machen die Qualität dieses Hauses aus. Die Ausstellungen, die meine Vorgänger etwa im Souterrain der Neuen Pinakothek gemacht haben, waren keinen Deut schlechter oder weniger interessant, aber jetzt ist die Wirkung unbeschreiblich besser.

Dann braucht es den Neubau …

Halt, natürlich wünschen wir uns dringend einen Neubau! Aber ich plädiere unbedingt dafür, dass unsere Ausstellungen weiterhin in der Pinakothek der Moderne stattfinden.

Die hochkarätige Sammlung, die fast eine halbe Million Blätter umfasst, ist jetzt an der Katharina-von-Bora-Straße untergebracht.

Die Räume sind alles andere als ideal. Und für jede Ausstellung müssen wir die paar hundert Meter mit dem Auto zurücklegen. Es gibt kein Kupferstichkabinett auf der Welt, das von den Ausstellungsräumen so getrennt ist. Fragen Sie nicht, wie wir unsere Blätter manchmal transportiert haben, wenn die Fahrzeuge der Staatsgemäldesammlungen belegt waren ...

Eigentlich müsste Ihnen das Museum Brandhorst ein Dorn im Auge sein.

Bitte, wir waren 2000 ganz nah dran an einem Neubau! Der Landtag stand kurz davor, grünes Licht zu geben. Doch plötzlich favorisierte Minister Zehetmair das Museum Brandhorst. Natürlich war ich wütend. Aber dann sind wir ja noch mal aus dem Karussell geflogen: 2008 ging Günther Beckstein mit mir durch die Ausstellung zum 250. Jubiläum der Graphischen Sammlung. Er war übrigens der einzige Politiker, der unser Haus wirklich kannte, weil er schon als Student den Studiensaal besucht hatte. Begeistert sagte er den Neubau zu – und trat drei Monate später zurück.

Eine jahrzehntelange Pechsträhne.

Und trotzdem hatten wir Glück! Dass wir heute international so glänzend dastehen, hat auch mit der Wahrnehmung unserer Arbeit in der Pinakothek der Moderne zu tun. Die letzten 15 Jahre waren für unsere immer schon weltberühmte Sammlung noch einmal eine richtige Erfolgsstory.

Sie saßen die letzten Monate ja auch regelrecht im Goldregen.

Das kann man wohl sagen, wir Freude uns über unglaubliche Schenkungen: Vuillard, Gustons gesamte Druckgrafik, Lipchitz, dann Schlachten von Kobell, Michaud, Bellmer … Die Sammler reagieren damit auf unsere Ausstellungen und unsere Sammlungspolitik. Sie haben Vertrauen, das ist ganz entscheidend.

Was macht die Sammlungspolitik vor allem aus?

Dass wir wie schon der Sammlungsgründer Kurfürst Karl-Theodor, dann vor allem Ludwig I. und später die wegweisenden Direktoren intensiv zeitgenössische Kunst gesammelt haben. Das ist wie eine dauernde Frischzellenkur, so verliert eine Sammlung nie den Anschluss. Wenn ich mir also etwas wünschen dürfte, dann, dass meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger das mit Nachdruck weiterverfolgen.

Wer wird es denn?

Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung – das erfahren wir leider aus der Zeitung.

Sie haben bald viel Zeit, welche Noten liegen denn auf Ihrem Flügel?

Schubert. Die Impromptus und die Moments musicaux will ich mir genauer anschauen. Und Bach ist sowieso mein ständiger Begleiter.

Sie sind mit der engagierten Kunstbuch-Verlegerin Caroline Sieveking verheiratet. Die kann einen Michael Semff sicher gut brauchen.

Tatsächlich hat meine Frau gesagt: Du brauchst nicht zu glauben, dass Du jetzt nur noch auf dem Viktualienmarkt spazieren und einkaufen kannst. Aber ich habe ja selber einige wissenschaftliche Projekte im Kopf. Auch ein Buch. Also langweilig wird’s mir sicher nicht.

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