Lichtflut in der Unterwelt

Mit einem Staatsakt wurde das Museum Ägyptischer Kunst eröffnet – ab heute dürfen alle in den Tempel unter der Erde
Christa Sigg |
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Erst die Jobaffäre, jetzt das Hochwasser – wenn sich die Plagen zu Pyramiden türmen, zieht’s Horst Seehofer erst recht in schmeichelndes Licht. Und sei es weit drunten im Untergrund. Bayerns Ministerpräsident drehte deshalb nur zu gerne eine Runde durchs Museum Ägyptischer Kunst, das gestern mit einem Staatsakt eröffnet wurde. Von heute an hat das Publikum Zutritt zum famosen Neubau.

Und was das Licht betrifft, ist damit keineswegs nur der Glanz gemeint, der auf den obersten aller Staatssäckel-Öffner fiel. Wer die Stufen der ausladenden Freitreppe zum ersten Mal hinabsteigt zur unterirdischen Schatzkammer, wird überrascht sein von der Helligkeit, die sich bald hinter der mächtigen Portalwand auftut. Und von der Großzügigkeit im Inneren des von Peter und Gottfried Böhm entworfenen Sichtbetonbaus. Was bei der benachbarten Hochschule für Fernsehen und Film einigermaßen schief ging – verspielte Unübersichtlichkeit dominiert dort bereits den Eingangsbereich – blieb bei den Ägyptern fern. Böhm senior hat sich mit Kirchenbauten einen Namen gemacht, das kommt gerade einem Tempel antiker Kunst sehr entgegen.

Um einen Lichthof gruppieren sich die ausladenden Herzkammern des Hauses, zwei großzügige Säle mit raumhohen Dreieckspfeilern (die es in der Antike natürlich nie gab, Böhm widersteht jeder Verlockung zu ägyptisieren). Durch die dringt Tageslicht, das das Allerwichtigste formidabel in Szene setzt: die Kunst. Anstatt das noch hungrige Hirn mit wüstenstaubtrockenen Chronologien prädynastischer Epochen zu quälen, wird hier mit den Highlights quer durch vier Jahrtausende gewuchert. Typisches wie der Münchner Horus, eine Stand-Schreitfigur mit Tierkopf und Menschenleib, macht den Auftakt. Und dann darf sich das Auge an Statuentypen, Ikonografie und ganz unterschiedlichen Stilen erfreuen. Das macht Lust auf die Vertiefung in den Themenräumen – vom Blick aufs Pharaonentum über den „Jenseitsglauben“ oder die „Religion“ bis hin zur „Schrift“ oder den bislang wie so vieles unter Wert verkauften Objekten aus dem antiken Sudan.

Wer die letzten Ausstellungen am alten Standort in der Residenz besucht hat, wird manches Déjà-vu erleben – die Einteilung nach Themen ging hier in die Testphase –, aber auch bemerken, dass es der hochkarätigsten Kunst wenig nützt, wenn sie in die falschen Räume gestopft wird.

Im Neubau überzeugen allerdings nicht nur die lichten Weiten eines sachlich-eleganten Ambientes mit interessanten Sichtachsen und praktischen Durchlässen, auch die Objekte werden entsprechend ihrer Formate und Bedeutungen präsentiert. Ein winziger Silberkopf, der in der Menge leicht untergeht, erhält mit einer überdimensionalen Vitrine den weihevollen Auftritt, der an seinen ursprünglichen Platz im Tempel erinnert. Der dem Sonnengott Aton huldigende Echnaton und die in eine Wand eingelassenen Relikte der Amarnazeit sind so platziert, dass bei gutem Wetter die Sonne auf sie scheint.

Innenarchitekt Christian Raißle hat sich tief in die Sammlung eingearbeitet, das sieht und spürt man. Allerdings ist die Inszenierung nie Selbstzweck. Und führt die Handschrift Böhms fort in schlichten High-Tech-Beton-Sockeln oder schwarzen Stahlplatten – auf denen Lieblingsstücke wie der Löwenkopf im ersten Hauptraum zum imposanten Hingucker werden. Mit unauffälligen Beschriftungen und Leitlinien, denen man folgen kann oder auch nicht.

So, wie man sich für die Tiefe der Information entscheidet – ausgespuckt von hypermodernen Multimedia-Guides, Medienwürfeln oder vom einzigartigen Bildschirm, mit dem man das Totenbuch abfahren kann und Übersetzungen und Deutungen erhält. Auch hier drängt sich nichts auf, obgleich sich Direktorin Sylvia Schoske selbst als Vermittlungs-Freak bezeichnet.
Für ihre Objekte hat sie jetzt auf 1800 Quadratmetern Ausstellungsfläche dreimal so viel Platz wie in der Residenz. Dass sie mit 2000 Exponaten nur ein paar Hundert mehr ausstellt, spricht fürs Konzept.

Damit hat das Kunstareal exquisiten Zugewinn. Und wer hätte gedacht, dass in den Tiefen so gar keine Tiefgaragen-Tristesse aufkommt? Da leuchtet auch Sonnenkönig Horst in schönstem Licht.

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