Leuchtende Rätsel
Der kanadische Fotograf Jeff Wall zeigt seine Arbeiten in der Pinakothek der Moderne und spricht heute über sein Werk
Jeff Wall hat ein Luxusproblem: Seine Kunst ist inzwischen zu teuer (400 000 bis 650 000 Euro). So jedenfalls erklärt der kanadische Foto-Künstler selbst die Tatsache, dass zwar 20 seiner bis zum Jahr 2000 rund hundert vollendeten Werke von Münchner öffentlichen und privaten Kollektionen erworben wurden, aber seither nichts dazu gekommen ist. Eine Schau in der Pinakothek der Moderne präsentiert nun 19 (plus eines im neuen Lenbachhaus-Foyer) dieser Foto-Tableaux, darunter Intérieurs, Stillleben, Landschaften – vier davon gehören den Staatsgemäldesammlungen.
Etwa „Ein Dorfbewohner aus Aricaköyü kommt in Istanbul-Mahmutbey an“ von 1997: Der Himmel hängt voller Stromleitungen, am Horizont wuchern Gewerbebauten und Wohnsilos, im Mittelgrund recken sich die Minarette einer Moschee. Eine wenig anheimelnde Stadtrand-Szenerie zwischen Rest-Natur und Moloch, in der ein junger Mann mit Reisetasche unterwegs ist. Fast alle von Jeff Walls Protagonisten sind derart einsam und unbehaust – und wenn mehrere Menschen beisammen sind, bricht Aggression aus wie in „A Fight on the Sidewalk“.
Walls Großdia-Leuchtkästen faszinieren, weil sie damit spielen, dass die Fotografie, in ihren Anfängen unverfälschtes Abbild der Realität, durch die Digitalisierung zur perfekten Täuschung geworden ist. Seine Bilder scheinen dokumentarisch; in Wirklichkeit sind sie, inklusive aufwändiger Lichtregie, bis ins Detail akribisch inszeniert
So wie „Eviction Struggle“ (Kampf gegen die Räumung) von 1988. Der Meister überarbeitete es 2004, nun heißt es „An Eviction“. Die Hauptszene, eine Dreiergruppe aus Polizisten und einem Mann, der sich sträubt, ist gleich geblieben. Doch Wall fügte digital weitere Figuren ein – die Gaffer sind mehr geworden –, die er aus verworfenen Originalaufnahmen von damals rekrutierte. Wirkte der Vorort von Vancouver 1988 trotz der Einfamilienhäuser wie eine ärmliche Gegend, fand mit der Überarbeitung die Gentrifizierung statt.
Wall, geboren 1946, studierte – und lehrte später – Kunstgeschichte in Vancouver. Er setzt die Tradition der Alten Meister in der Ästhetik des Kinos fort, jede Geste, jeder Gegenstand ist sorgsam gesetzt. So erzählen seine Bilder, obgleich unbewegt, Geschichten. Dabei bezieht er sich oft auf berühmte Kunstwerke, etwa mit „Der Denker“ aus der Sammlung Lothar Schirmers, das sich an Rodins Plastik anlehnt und wie das Pendant zum jungen Dörfler am Rande Istanbuls wirkt: Ein alter Mann in Denkerpose, am Horizont diesmal die Hochhäuser von Downtown. Auch er kommt wohl von weither, und irritierenderweise ragt hinter seiner Schulter der Griff eines Schwerts in die Höhe. Es ist nicht erkennbar, ob er es geschultert hat oder ob es ihm im Rücken steckt – Mehrdeutigkeit ist ebenfalls typisch für Jeff Wall.
Die Zusammenschau seiner Werke gibt einen lohnenden Einblick ins Oeuvre, an Wirkung gewinnen die Solitäre dadurch nicht. Denn ihre perfektionistische Machart gerinnt fast zur Masche, bei der Form und Inhalt immer weiter auseinander driften.
Bis 9. März; am heutigen Donnerstag, 18.30 Uhr, spricht Jeff Wall im Ernst-von-Siemens-Auditorium der Pinakothek über sein Werk (frei)
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