Karriere von HA Schult: Der Start zur Umweltkunst

AZ-Autor Karl Stankiewitz erinnert sich, wie der Aktionskünstler HA Schult vor genau 50 Jahren begann, berühmt zu werden: in München mit der "Aktion 20.000 km".
Karl Stankiewitz |
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Die Umwelt Ausstellung "Munich An Art-exibition" 1974, für die HA Schult mehrmals die Mülltonne von Franz Beckenbauer leerte, um auf Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen. Neben ihm seine Muse und damalige Ehefrau Elke Koska.
Die Umwelt Ausstellung "Munich An Art-exibition" 1974, für die HA Schult mehrmals die Mülltonne von Franz Beckenbauer leerte, um auf Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen. Neben ihm seine Muse und damalige Ehefrau Elke Koska. © ZUMAk09/ Imago

November 1970, der fünfte. Sichtlich erschöpft, bejubelt, von seiner knallbunten Muse abgebusselt: So steuerte ein Mann - verschmutzter Overall und Schutzhelm in Orange - ein orangefarbenes Auto gegen 20 Uhr ins Fernsehstudio Freimann. Gerade rechtzeitig, um noch der ARD-"Tagesschau" live zugeschaltet zu werden. Immerhin endete damals, vor genau 50 Jahren, ein spektakuläres Ereignis, das heute als Markstein der Geschichte der Kunstgeschichte wie der des Motorsports gilt. Genau 20 Tage zuvor war das Fahrzeug von einer Rampe an der Feldherrnhalle in die Nacht hinein gestartet: "Aktion 20.000 km".

Kein Künstler - ein Macher

Wer war dieser Mann? Anfang der Siebzigerjahre, in deren Verlauf Münchens Kunstszene noch einmal leuchtete, schenkte mir der 31-Jährige ein Spielzeugauto aus buntem, zerquetschtem Blech. Er stellte sich schlicht vor: "Schult". Seinen Vornamen Hans-Jürgen hatte der Mecklenburger, der von 1961 bis 1978 in München lebte, zu HA zerquetscht. Er gab sich nicht als Künstler aus, sondern als "Macher". Er wollte durch Aktionen oder Installationen allen deutlich machen, dass unsere Umwelt ziemlich kaputt, verschmutzt, vergiftet, verrottet war. Er wollte gewissermaßen ein "Schult-Bewusstsein" schaffen.

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Altpapier und Müll auf der Schackstraße

Richtig damit angefangen hatte dieser HA Schult im Revoluzzer- und Happening-Jahr 1968, indem er an einem schönen Sonntagmorgen die Schackstraße, wo Ludwig Thoma einst das Satireblatt "Simplicissimus" redigiert hatte, mit Altpapier, Fußabstreifern und anderem Müll auffüllte. Die Polizei schritt ein, Schult kam mit 300 Mark Strafe wegen groben Unfugs glimpflich davon. Weitere Müll-Aktionen und biokinetische Landschaften folgten. Kritiker und Kunst-Galeristen wurden aufmerksam. Einige verfolgten oder förderten dann auch die wahnwitzige Deutschland-Ralley.

Tankstellengespräche mit Bundeskanzler Brandt

20.000 Kilometer "und ein paar Zerquetschte", wie er jetzt präzisierte, pendelte Schult quer durch Deutschland. "Außerhalb von Orten meist Vollgas". Geschlafen hat er mit Orange-Pyjama in Museen, wo er auch mit Presse und Publikum plauderte. Alles, was unterwegs geschah, wurde per Tonband, Fahrtenschreiber und Kamera dokumentiert: die Gespräche (an einer Tankstelle bei Düsseldorf mit Bundeskanzler Brandt), das Staunen von Vopos bei der Einfahrt in die DDR, alle Regungen von Menschen und Maschinen.

Medienmensch und Umweltkünstler der ersten Stunde

Tote Insekten klebten an der Windschutzscheibe, die zwanzig Mal gewechselt wurde. Der Motor musste nur einmal ausgetauscht werden. Fernsehen und Zeitungen, natürlich auch die AZ, berichteten tagtäglich über die tolle Tour, über die bisher größte Kunstaktion. Und schon im Dezember brachte ein großer Verlag einen Buchreport heraus mit dem Titel "Die Schult-Frage". Der Macher HA Schult ist auch ein Medienmensch und nicht nur Umweltkünstler der ersten Stunde.

Wahl-Münchner und Vagabund auf großer Tour

Bald vagabundierte der Wahl-Münchner, meist mit seiner früheren Ehefrau, Muse und Mitarbeiterin Elke Koska, durch die weite Welt und brachte seine Überlebensobjekte in die wichtigsten Kunst-Spots, etwa in das Metropolitan in New York, wo er ein Flugzeug abstürzen ließ. Höhepunkt und Symbol seines Schaffens ist das "Trash People" (Müll-Volk), eine Armee von tausend lebensgroßen, aus bunten Blechdosen gequetschten Figuren, die Schult in aller Welt präsentierte: in Tel Aviv, Moskau, vor der Chinesischen Mauer und den ägyptischen Pyramiden ebenso wie im tibetischen Lhasa e auf dem Matterhorn oder in der Arktis. Mehrmals ließ er seine Müllmenschen auch in München beim Tollwood-Festival aufmarschieren.

Kunstaktionen in Essen, Köln - und wieder München?

In Essen gründete der Unermüdliche, der sich auch mal für Angela Merkel engagierte und Verkaufserlöse für Obdachlose spendete, sein eigenes Museum für Aktionskunst, das er später nach Köln verlegte. Dort lebt und schuftet der Schult heute.

Im Auftrag des obersten Ford-Chefs Daniel Goeudevert fertigt er ein vergoldetes "Flügelauto", das er per Hubschrauber über eine Brücke der Domstadt schweben ließ. In Duisburg initiierte er 2009 den "Öko-Glob", der die "Mobilitätsindustrie" in Richtung Umwelt treiben will.

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Der Franzose Goeudevert war übrigens jener junge Verkaufschef von Citroen, der vor einem halben Jahrhundert das Auto für die erste große Kunstaktion gesponsert hatte.

Heute steht das "Wrack" in einer Düsseldorfer Garage, samt kompletter Dokumentation bis hin zu unzähligen Zigarettenkippen und ärztlichem Befund. Sein nächstes Projekt "Waste Land" (Land des Abfalls) soll ab November in Jerusalem stattfinden, das übernächste, über das er noch nichts Genaues verraten will, wieder in München, wo er groß wurde. 

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