Joan Jonas im Haus der Kunst: Gespiegelte Wahrheiten

Im Haus der Kunst ist die bislang größte deutsche Werkschau der amerikanischen Performance- und Video-Künstlerin Joan Jonas zu sehen. Mit vier Jahren Verspätung.
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Spieglein, Spieglein, sind wir schön? "Mirror Piece", eine der frühen Performances von Joan Jonas war an drei Tagen im Haus der Kunst zu sehen.
Spieglein, Spieglein, sind wir schön? "Mirror Piece", eine der frühen Performances von Joan Jonas war an drei Tagen im Haus der Kunst zu sehen. © Franz Kimmel

Wie Pinguine wackeln fünf dick eingemummte Menschen über eine Schneefläche. Der Wind weht so stark, dass sie kaum vorankommen. Aber mit der Zeit gelingt es ihnen dann doch, simple Formationen zu bilden, linkisch natürlich, und einer Choreografie zu folgen. Elend kalt sei es gewesen, wird sich Joan Jonas Jahre später erinnern, die meisten Künstler würden unter solchen Umständen abbrechen. Das alles hätte sie aber gar nicht interessiert, und so entstand 1968 mit "Wind" eine ihrer wichtigsten Performances, die viel über einen langen Kampf erzählt.

Trotz anhaltendem Gegenwind: Joan Jonas gibt nicht auf  

Denn selten ist Joan Jonas auf bequemen Wegen spaziert, mit Gegenwind war sowieso dauernd zu rechnen. Zumindest in den ersten Jahrzehnten. Aber die überraschend kleine Frau hat standgehalten. Dass ihre Ausstellung aus der Londoner Tate Modern nun doch noch in München gezeigt wird - vier Jahre nach der Absage des damals finanzklammen Hauses der Kunst –, passt nur zu gut in diese Vita.

Als der große Erfolg eingesetzt hat, war sie schon fast 80. Unwillkürlich muss man an die winzige Louise Bourgeois denken, die Frau der Spinnenmamas, die auch erst in ihren Siebzigern Anerkennung fand. Oder an die Körpermalerin Maria Lassnig, deren Karriere mit dem Eintritt ins Rentenalter endlich Fahrt aufnahm. Bei Jonas war es mit der Biennale von Venedig dann auch gleich das bedeutendste internationale Parkett: 2015 bespielte sie den Pavillon der Vereinigten Staaten. Und die Menschen standen Schlange, um ihre Bienen auf Videos und Zeichnungen zu sehen, Wälder, weite Landschaften, Pferde – oder Fische, die im Filmzusammenschnitt mit Performerinnen ein herrliches Unterwasserballett vor Augen führten.

Vergänglichkeit als Metapher 

Auch im Haus der Kunst gibt es Fische, krakelig gemalt, wie das Kinder tun, und immer wieder kommt das Wasser über Mattscheiben und Filmleinwände hinzu. Eine "Undine" taucht auf ("Moving Off the Land II, 2019), umgeben von intensivem Tiefseeblau – der Ozean ist so unfassbar schön, dass man diese Bilder festhalten möchte. Unbedingt. Doch nichts darf im Kosmos der Joan Jonas verweilen, binnen Sekunden wechseln die Szenen. Die Vergänglichkeit ist hier auf eine aberwitzige Spitze getrieben, als wollte diese Seherin aus New York einen Eindruck davon vermitteln, wie rasant wir unseren Lebensraum zerstören.

Jonas ist keine, die den Finger hebt, auch das Moralisieren käme ihr nie in den Sinn. Ihre Generation und gerade die Aufmüpfigen unter den Frauen hatten die Enge der Spießbürgerlichkeit ja nicht verlassen, um gleich wieder philiströs zu werden. Also wählt sie den sympathischeren Weg und macht sichtbar, was auf dem Spiel steht, was wir verlieren oder schon verloren haben.

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Eine Sammlerin von Eindrücken und Erlebnissen

Dass die heute 86-Jährige mit ihren wegweisenden Performances nach draußen ging und damit zwangsläufig die Natur ins Boot geholt hat, ist freilich auch der Not geschuldet. Räume zu mieten, war teuer, zugleich wollte sie den sterilen White Cube vermeiden. Für die meisten Galeristen kam Jonas deshalb gar nicht erst infrage, und dass sie eher am Rand der Kunstwelt agiert hat, mag ihr essentielle Freiheiten bewahrt haben.

Schon mit fünf, sechs Jahren wollte Joan Künstlerin werden. Sie wuchs auf Long Island in einem kulturaffinen Umfeld auf, die Mutter ging mit der Kleinen in Ausstellungen und ins Theater, der Vater, eine Art verkrachter Poet, brachte ihr die Literatur nahe. Und dann gab es da noch Amateurzauberer und einen Onkel, der Dioramen gebaut hat. Das mag weit in der Vergangenheit liegen, doch Jonas ist eine Sammlerin, die nichts wegwerfen oder ad acta legen kann. Auch keine Eindrücke oder Erlebnisse.

Sie musste fast 80 werden, um endlich Erfolg zu haben - etwa 2015 auf der Biennale in Venedig. Die mittlerweile 86-jährige Joan Jonas im Haus der Kunst.
Sie musste fast 80 werden, um endlich Erfolg zu haben - etwa 2015 auf der Biennale in Venedig. Die mittlerweile 86-jährige Joan Jonas im Haus der Kunst. © Maximilian Geuter/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Kunstrecycling – alles findet Verwendung

Genauso wenig lässt sie von ihren Standardrequisiten ab. Was gleich zum Auftakt dieser ersten umfassenden Retrospektive in Deutschland wie auf einem Gabentisch präsentiert wird – Tierfiguren, Steine, Masken –, findet neben den zahlreichen Spiegeln in einer Tour Verwendung. Das ist eine wohltuende Form des Kunstrecyclings (auch der Holzboden der Nakaya-Nebel-Ausstellung liegt noch und wird hoffentlich bleiben). Von Wiederholung zu sprechen, trifft die Sache allerdings nicht. Alles durchläuft bei Jonas den Prozess der Veränderung und wird neu zusammengeführt.

Dass die studierte Bildhauerin nicht bei ihren starren Giacometti-haften Figuren bleiben wollte, hat also durchaus Gründe. Der Aufbruch im New York der Sixties, die Happenings und die anstachelnde Versuchsatmosphäre waren das ideale Umfeld für eine Künstlerin, die keine konkrete Technik ausüben oder irgendeinen Stil übernehmen wollte. Und das Performative bot alle nur denkbaren Möglichkeiten – bald festgehalten im Film, später kombiniert mit Zeichnungen und skulpturalen Elementen und somit zur Installation geworden.

Echte Geschichte, Mythen und Märchen

Besonders eindrucksvoll sind diese verschiedenen Ebenen in "Lines in the Sand" verschränkt, einem komplexen Rundum-Werk, das im Auftrag der documenta 11 von 2002 entstanden ist und über die Jahre durch Requisiten der jeweiligen Aufführungen erweitert wurde. Es geht um den Helena-Mythos und den Trojanischen Krieg, dessen Motive – Jonas verlagert den Plot nach Ägypten – als wirtschaftliche Interessen entlarvt werden. Sogar Pyramiden kommen vor, gezeichnet, auf Fotografien von den Reisen der Großmutter oder im Video-Dreh der exotisierenden Architekturkulissen von Las Vegas.

Der Irakkrieg schwebt im Raum, und dann zieht auch schon das tiefe Rot von "Juniper Tree" (1976/1994), dem Wacholder- oder "Machandelboom" nach einem ziemlich brutalen Märchen der Gebrüder Grimm, zur nächsten Installation. Ein Bub wird da von seiner Stiefmutter enthauptet - was für ein böses Frauenbild. Und es fließt ordentlich Blut, das auf den während einer Performance schnell gemalten Köpfen und Herzen seinen unübersehbaren Ausdruck findet.

Spiegel der Erkenntnis – dann macht doch alles einen Sinn

Um die Ecke säuselt Tilda Swinton. Wie eine Sirene liegt sie in "Volcano Saga" auf einem Felsen - 1985 noch völlig unbekannt – und sinniert über gescheiterte Ehen, die in einem isländischen Epos verhandelt werden. Die Landschaft deutet auf Seelenzustände. Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Bei Joan Jonas weiß man nie so genau, was tatsächlich gemeint ist. Doch darauf kommt es gar nicht an. Irgendwann blitzt es sowieso im Gedächtnis, so, als hätte Jonas einen ihrer Spiegel der Erkenntnis in die Sonne gehalten.


Haus der Kunst, bis 26. Februar 2023 täglich außer Dienstag von 10 bis 20, donnerstags bis 22 Uhr

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