Ist Religion wie Unterwäsche?

Jüdisches Museum: „Treten Sie ein! Treten Sie aus!“ – eine witzige, geistreiche Ausstellung übers Konvertieren
Matthias Hejny |
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Glaube und Religion sind grundsätzlich ironiefreie Zonen. Deshalb überrascht die neue Ausstellung im Jüdischen Museum zumindest im Titel mit Süffisanz: „Treten Sie ein! Treten Sie aus!“ heißt das Projekt, das sich mit Konversion, dem Wechsel des Glaubens, beschäftigt.

Auch das Plakatmotiv verspricht eine gewisse Leichtigkeit: Die Gottesfürchtigen sind in schlichten Piktogrammen dargestellt, deren religiöse Zugehörigkeit am T-Shirt erkennbar ist: Die Juden tragen rot, die Christen grün, der Islam tritt in Lila an und die Buddhisten sind blau markiert. Nur wer nicht glaubt, wird in ein unvorteilhaft schwarzes Hemdchen gesteckt. Der Eindruck, von einer Religion in eine andere überzutreten sei so leicht wie das Trikot zu tauschen, hält sich nicht lange. Schon im Vorraum wird es ernst: Abraham zerschlägt die Götzen. Die stark vergrößerte Illustration aus einer Haggada-Ausgabe des 18. Jahrhunderts erzählt von der Macht des einen Gottes – und Abraham richtet seine Gewalt nur gegen Sachen. Nicht selten war Konversion keine freiwillige Entscheidung, sondern Ergebnis von Zwang – gesellschaftlich oder körperlich. Die selbstbestimmte Wahl einer Konfession oder einer Religion als Menschenrecht zu betrachten, ist ein moderner Gedanke.

Vor allem finden die Antworten auf die Gretchenfrage, wie man es mit Gott halte, unsichtbar im Dunkel des Schädels statt. Um zu erfahren, was die Konvertitinnen und Konvertiten zu ihrem Schritt bewog, ist man vor allem auf schriftliche Äußerungen angewiesen. Das macht die Schau mehr zum Leseereignis als zu einem visuellen Erlebnis. Kurator Hannes Sulzenbacher versammelte knapp 50 Biografien quer durch die Jahrhunderte von der Spätantike bis zum heutigen Staat Israel.

Die Raumaufteilung folgt der Dramaturgie der „Konvertitenerzählung“. Das einzige, was alle untersuchten Fälle einige, stellte Sulzenbacher fest, sei die Abfolge in ein Vorher, in die „Passage“ und das Nachher. Wo die Quellenlage entsprechend ergiebig war, lässt sich die Entwicklung durch alle drei Phasen verfolgen. Es gibt die Fernsehdokumentation „Jew By Choice“ über einen deutschen Zivildienstleistenden, der sich beschneiden ließ, um sich als Jude „komplett“ zu fühlen.

Oder es findet sich ein Rosenkranz, der nicht mehr gebraucht wird, weil die Besitzerin der Liebe wegen zur Protestantin wurde. Und es gibt den Brief von Heinrich Heine, der geglaubt hatte, nach dem Austritt aus dem Judentum und mit dem christlichen „Taufzettel das Entrebillet zur europäischen Kultur“ erhalten zu haben. 1826 schrieb er: „Ich bin jetzt bei Christ und Jude verhasst. Ich bereue sehr, dass ich mich getauft hab.“

Jüdisches Museum, St.-Jakobsplatz 16, bis 2. Februar, dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr. Katalog: Parthas-Verlag, 352 Seiten, 24.80 Euro

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