Irgendwann bröckelt jede Rolle
Ist nicht alles eine Frage der Inszenierung? Franz von Stuck wusste das nur zu gut, jeder Winkel seiner Villa ist Teil eines fein ausgetüftelten Konzepts. Wer sich also in der Aura seiner „Sünde” produziert, weilt in bester Gesellschaft. Selbst oder gerade der Deathcore-Clique um David Beule dürfte das gut in den Schau-Kram passen. Mit seiner Zweikanal-Videoinstallation „Rebel Rebel” (nach dem Song von David Bowie) hat Martin Brand (Jahrgang 1975) den Musikern einen Sockel verpasst – und für diesen Auftritt in Stucks Atelier den idealen Platz im Museum gefunden.
Natürlich ist man erst einmal irritiert, wenn einem beim Betreten der weihevoll dunklen Räumlichkeit gleich die Einsingerei, besser Einschreierei in die Ohren donnert. Beule „shoutet” in ein Handtuch, im Hintergrund weiße Fliesen, was diese völlig banale Band-Angelegenheit auf den ersten Blick in die Nähe des durchgeknallt Psychoklinischen bringt. Dagegen haben die Tätowierszenen schon fast etwas Beruhigendes. Doch egal, „Ricochet”, der Titel der Ausstellungsreihe, funktioniert im Falle Brands besonders gut. Hier prallen (franz. ricochet heißt Aufprall) Welten aufeinander, bei allem Sinn für die große Show, den man der Band in dieser monatelangen Begleitung Brands nicht absprechen kann. Auch in eher intimen Momenten.
Dahinter lauert Zerbrechlichkeit
Und doch kommt man sich vor wie ein Voyeur, mehr noch in den nächsten Räumen, wo ein aneinander geschmiegtes Paar – „Punks” – gefühlte Ewigkeiten in die Kamera blickt. Jedes Streicheln, jede minimale Drehung des Kopfs beginnt hier Bedeutung einzusaugen. Unsicherheiten machen sich breit, die kettenbehängt harte Hülle weicht auf. Erst recht in den „Portraits of Young Men”. Bloß keine Miene verziehen, nichts preisgeben, scheint die Devise. Wer hält dem Blick der Kamera länger, cooler stand? Manchmal röten sich zart die Wangen und die Rokokoporträts der Pastellmalerin Rosalba Carriera schwirren einem durch die Sinne. Im Kopf beginnen sich Geschichten abzuspulen.
Hinter all den Gesichtern von Außenseitern, Punks, Gothics, Hooligans, die Brand am Bahnhof, auf der Straße – man bezeichnet das so schön als Subkultur – findet, lauern Zerbrechlichkeiten, Sentiments, Seele, was auch immer. Und ganz unvermittelt wird man auf sich selbst geworfen. Was ist mit den fein gedrechselten Klischees? Martin Brand bringt mit einfachsten Mitteln erstaunliche Denkmaschinerien in Gang.
Villa Stuck, bis 7. Juli 2013, Di bis So 11 bis 18 Uhr, 7.6. bis 22 Uhr
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