„Göttlich“: Wieder eine großartige Ausstellung im Freisinger Diözesanmuseum

Audio von Carbonatix
Natürlich sind Meisterwerke über die Alpen nach Freising gekommen. Wer sich nach zwei großen Italien-Ausstellungen in der Alten Pinakothek vor den Toren Münchens erneut auf die Renaissance konzentriert, muss sich schon ins Zeug legen. Und allein für Botticellis unfassbar zarte Madonna mit dem Buch lohnt sich der Weg ins Diözesanmuseum.
Doch dieses lieb gewordene Präsentieren von Höhepunkten und bekannten Namen ist gar nicht so entscheidend. Auf dem Domberg wird Außergewöhnliches gezeigt, Markantes, Bilder die zuweilen irritieren. Vor allem aber werden Geschichten erzählt, unverkrampft, und im Vergleich zu den großen Häusern sind es oft die besseren.
Das beginnt schon damit, dass man mit dem guten Dante Alighieri im Jenseits landet und von der erschütternden Stimme Vittorio Gassmans durch Hölle und Fegefeuer geleitet wird, um kurz im Paradies aufzuatmen. Die raumfüllende Videoinstallation ist ein famoser Kniff, um mit dem viril-erhabenen Poeten-Italienisch im Ohr durch die Säle zu wandeln. Die Madonnen macht das gleich noch schöner, irdischer, denn man darf bei aller gebetsmühlenartig beschworenen „Wiedergeburt der Antike“ nicht vergessen, dass nur jeder zehnte Auftrag einem profanen Werk galt.

Vor der Madonna gehen selbst die Geldigen in die Knie
Das Leben im 15. und 16. Jahrhundert war vom Glauben geprägt, selbst für den Vergil lesenden Gelehrten und den Münzen zählenden Kaufmann gehörte die Madonna zum wichtigsten Inventar, vor dem man betend in die Knie ging und das freilich auch bei Liebeskummer half. Ihre Kräfte haben beim schmachtenden Petrarca zwar versagt - wahrscheinlich, weil sein Schwärmen für Donna Laura doch eher literarisch motiviert war. Das hat den Dichter aber keineswegs daran gehindert, das letzte seiner „Canzoniere“ in ein Lobpreisen der Maria hinübergleiten zu lassen.
Die entsprechenden Spruchbänder säumen den Mantel einer Gottesmutter Zanobi Machiavellis aus Fucecchio, während Vergleichbares aus der „Göttlichen Komödie“ den Umhang der „Madonna Dantesca“ aus Livorno ziert. Dass beide Gemälde nun aufeinandertreffen und die kostbar gestalteten Bücher gleich noch daneben liegen, ist ein mittleres Wunder. Und solche Verbindungen findet man in sämtlichen Kapiteln dieser Superschau.
Ohne Freunde geht nichts
Überhaupt geht es ständig um Bezüge und Beziehungen. Um Freundschaften, wie sie im etwas düster geratenen, aber feinsinnigen Doppelporträt Jacopo da Pontormos zum Ausdruck kommen. Der Künstler hat sich vermutlich noch dazu komponiert, denn die Männer, die auf ein Blatt aus Ciceros Traktat „Über die Freundschaft“ deuten, blicken am Betrachter vorbei zu ihrem Maler.

Gute Gelegenheit, um über den Gang der Welt zu grübeln
Sofort stellt sich eine imaginäre Unterhaltung ein, und wer weiß, ob das Trio immer nur um hehre Themen gekreist ist. Der rechte Freund scheint vom Posieren schon etwas genervt zu sein. Ganz zu schweigen von Giovanni Bellinis überforderten Engeln, die beim „Halten“ des toten Christus’ vor eine an sich unlösbare Aufgabe gestellt sind. Man geht sofort mit hinein in die Misere und beginnt über das Leid der Welt zu grübeln. Gerade in diesen Zeiten!

"Mama, tut das weh?", scheint der Jesusknabe zu fragen
Die Jesusknaben sind noch nicht so weit, sie ahnen sachte, dass da nichts Gutes kommen wird, und spielen mit den Zeichen des Martyriums, wiewohl ihre Mütter bei all dem heilsgeschichtlichen Wissen mindestens melancholisch werden - und wie Sandro Botticellis Madonna das Kind noch eine Spur sanfter umfangen. Der Kleine spürt dieses stille Unglück: „Mama, tut das weh?“, könnte er fragen. Sie wird es für sich behalten, wie das Mütter eben tun. Das ist so ungemein menschlich und voller minutiös studierter Psychologie.

Ist der Mann mit dem fiesen Blick auch wirklich fies?
Wobei diese Beobachtungsgabe auch ganz anderes zu Tage befördern kann. Dem Dominikanermönch Marcantonio Luciani möchte man weder im Hellen und schon gar nicht im Dunklen begegnen, und obwohl reformatorischen Kreisen innerhalb seines Ordens verbunden, wirkt der vom virtuosen Lorenzo Lotto porträtierte Schatzmeister wie ein erbarmungsloser Zinseintreiber.
Es hat viel Platz auf diesen Bildkosmen, bibliophile Frauen und realitätsnahe Kinder, Landschaften, in die man ohne Vertun hinausspazieren will, und fromme Konversationen. Aber auch das ist eine Frage der damals längst üblichen Perspektive. Denn lässt man um Fra Filippo Lippis thronende Muttergottes den Blick schweifen, entdeckt man eine hinreißende heilige Margareta.

Für die stand wohl Lucrezia Buti Modell, und dass sich der 50-jährige Malermönch blitzartig in die Novizin verliebt hat, ist verständlich. Die beiden sind durchgebrannt, der Skandal war perfekt, doch die Liebe blieb. Und mit Fürsprache Cosmios de Medici gab irgendwann auch der Papst grünes Licht für die Ehe.
„Göttlich! Meisterwerke der Renaissance“, bis 11. Januar im Diözesanmuseum Freising, Di bis So 10 bis 17 Uhr, Katalog 29 Euro
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