Glatt übersehen: Ein Caravaggio überm Sofa

Audio von Carbonatix
Dass ein Umzug etwas verloren Geglaubtes ans Licht bringt, ist nicht ungewöhnlich. Auf einen Millionenfund zu stoßen, kommt dann doch selten vor. Wobei das noch lange nicht klar war, als Mercedes Méndez vor gut fünf Jahren beschlossen hatte, in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Den alten Schinken überm Sofa wollte sie loswerden. Jahrzehntelang hing ein blutender Christus mit Dornenkrone bei ihr im Wohnzimmer, ein Erbstück, das die Familie zwar eine halbe Ewigkeit begleitet hatte, aber Platz ist auch in Madrid teuer.
Méndez ging davon aus, dass ihr „Ecce Homo“ von einem unbekannten Ribera-Schüler oder Kollegen gemalt worden sei, irgendwann im frühen 17. Jahrhundert. Das fleckige, von viel Firnis getrübte Gemälde genauer zu untersuchen, hielt man im Auktionshaus Ansorena für überflüssig, und so landete es unter vielen anderen im Onlinekatalog - auf jämmerliche 1500 Euro taxiert, aber auch nur wegen des schönen historischen Rahmens.
Blitzartig schießt das Bild
von 1500 auf 10 Millionen Euro
Doch was einmal im Netz ist, zieht sofort Kreise. Gleich das erste Angebot lag bei 600.000 Euro, dann ging es blitzartig hoch auf 10 Millionen, und die Spitzenliga des Altmeisterhandels kam ins Spiel: Die Eigentümer betrauten Colnaghi, eine der ältesten Kunsthandlungen der Welt, mit den Recherchen, mit der Restaurierung und schließlich mit dem Verkauf.

Man darf ruhig von einem Großauftrag sprechen, denn letztlich geht es um unfassbare Provisionen. Aber dafür braucht es eben ein Echtheitszertifikat, und dieses langjährige Hin und Her bis zur Ausstellung im Madrider Prado hat der spanische Regisseur Álvaro Longoria in eine veritable Thriller-Dokumentation gepackt.
Hell-Dunkel-Effekte wie auf Caravaggios Gemälden
Der Begriff ist ein bisschen schräg, zumal die 30 Millionen Euro, auf die es der Caravaggio am Ende brachte, durch sämtliche Medien ging. Was zu diesem verhältnismäßig niedrigen Preis führte und wie sich Barockspezialisten, Restauratoren, Museumsleute und Kunsthändler dem verschollenen Werk genähert haben, ist freilich aufregend genug. Und ganz im Stile Caravaggios.
Wie auf den Gemälden des genialen wie schillernden Malers wird die Dramatik durch heftig ausgereizte Hell-Dunkel-Effekte gesteigert. Taucht das Bild selbst auf, ist es oft düster, während die verschiedenen Akteure gerne in behaglich beleuchteten Wohnzimmern und Büros verhandeln. Journalisten sind kritisch unterwegs, Kunsthistoriker dürfen schwärmen oder zweifeln - an schlecht gemalten Händen zum Beispiel. Und die sympathischen Erben pflegen locker zu plaudern.

Immerhin: Die Deals sind gut nachgestellt
In weiten Teilen begleitet der Film ein Händler-Trio auf seiner Pirsch zwischen Madrid, London, Rom und Neapel: Allen voran Jorge Coll, smartes Colnaghi-Oberhaupt (noch vor gut zehn Jahren im Besitz des Münchners Konrad Bernheimer). Man weiß nicht so recht, was Überzeugung und was einfach nur gute Show ist. Regisseur Longoria behauptet, er sei immer dabei gewesen. Dass interne Beratungen mitgefilmt werden, ist unrealistisch. Aber zumindest sind sie werbewirksam nachgestellt.
Dafür fällt die Enttäuschung über einen letztlich vermasselten Superdeal unter den Tisch. Denn noch bevor die Diagnose „Caravaggio“ lautet, tritt das Kulturministerium auf die Bremse und erlässt ein Exportverbot. So etwas zerstört jeden Traum vom neunstelligen Erlös. Im Film ist von möglichen 200 Millionen Euro die Rede, ein schmerzfreier Sammler hätte sich wie beim Salvator - der kam für 450 Millionen US-Dollar unter den Hammer - problemlos gefunden.
Wohl kein Witz - wie Leonardos Salvator
Mit einem gravierenden Unterschied: Während Leonardo-Kenner nach wie vor an der Echtheit des Weltenretters zweifeln und das Werk dem Umkreis oder einem Schüler wie Giovanni Antonio Boltraffio zuschreiben, dürfte der gegeißelte Christus tatsächlich ein Caravaggio zu sein. Konkret eine Tafel, die zwischen 1605 und 1609 gefertigt wurde, zur Privatsammlung des spanischen Königs Philipp IV. gehörte und dann über Umwege in die Familie des Diplomaten und Goya-Förderers Evaristo Pérez de Castro gekommen ist.
Für die Nachfahren um Mercedes Méndez geht das Ergebnis völlig in Ordnung. Man wünscht sich ohnehin, dass das Meisterwerk im Museum landet und gesehen wird. Im Prado war das bis zum 23. Februar 2025 der Fall.
Regie: Álvaro Longoria (Spanien, 78 Minuten)
Kinos in München: City Atelier Kinos, Neues Maxim, Studio Isabella
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