Interview

Flatz lässt seine Haut versteigern

Eine Ausstellung über den Aktionskünstler aus Vorarlberg
Christa Sigg |
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Diesen gut gekleidete Skelett hat Flatz 2018 in Palermo in der berühmten Kapuzinergruft abgelichtet. Für seine Serie "Palermo/Dandy".
Flatz Foundation 5 Diesen gut gekleidete Skelett hat Flatz 2018 in Palermo in der berühmten Kapuzinergruft abgelichtet. Für seine Serie "Palermo/Dandy".
Der Künstler Flatz zeigt eine naturgetreue Nachbildung seines Körpers mit sämtlichen Tattoos - die Schriftzüge reichen von Adorno- oder Cicero-Zitaten bis zum Flatz-Wappen. Sie werden am Donnerstag versteigert, Christie's-Präsident Dirk Boll steht am Auktionspult.
Felix Hörhager 5 Der Künstler Flatz zeigt eine naturgetreue Nachbildung seines Körpers mit sämtlichen Tattoos - die Schriftzüge reichen von Adorno- oder Cicero-Zitaten bis zum Flatz-Wappen. Sie werden am Donnerstag versteigert, Christie's-Präsident Dirk Boll steht am Auktionspult.
Der Künstler Flatz steht beim Aufbau der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in der Installation "Bodycheck", die erstmals auf der Dokumente 9 in Kassel ausgestellt wurde.
Felix Hörhager/dpa 5 Der Künstler Flatz steht beim Aufbau der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in der Installation "Bodycheck", die erstmals auf der Dokumente 9 in Kassel ausgestellt wurde.
Der Künster Flatz (links) und die Schmuckkünstlerin Maja sitzen unter den Hüten der Künstlerin Fiona Bennett.
Felix Hörhager/dpa 5 Der Künster Flatz (links) und die Schmuckkünstlerin Maja sitzen unter den Hüten der Künstlerin Fiona Bennett.
Die Schmuckkünstlerin Maja bereitet das Kunstwerk "Hera und Hades" des Künstlers Flatz in der Pinakothek der Moderne vor.
Felix Hörhager/dpa 5 Die Schmuckkünstlerin Maja bereitet das Kunstwerk "Hera und Hades" des Künstlers Flatz in der Pinakothek der Moderne vor.

Aufgekratzt flitzt er durch die Schauräume. Flatz ist überall, die krumme Zigarre ständig zwischen den Fingern. Aufgeregt? "I wo". Eine gewisse Nervosität kann er trotzdem nicht verbergen. Schließlich hat der Aktionskünstler seine erste Ausstellung in der Pinakothek der Moderne. Eine Retrospektive, in der er auf ein Werk blickt, in dem sein Körper im Zentrum steht. Passend dazu werden bei der Eröffnung am Donnerstag seine Tattoos versteigert. Überhaupt lässt er's an diesem Abend krachen, macht Musik mit Olaf Gutbrod, DJ Hell legt auf.

Der Künstler Flatz steht beim Aufbau der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in der Installation "Bodycheck", die erstmals auf der Dokumente 9 in Kassel ausgestellt wurde.
Der Künstler Flatz steht beim Aufbau der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in der Installation "Bodycheck", die erstmals auf der Dokumente 9 in Kassel ausgestellt wurde. © Felix Hörhager/dpa

AZ: Herr Flatz, als Kind haben Sie sich mit der nagelneuen Lederhose in einen Kuhfladen gesetzt. Das riecht nach einer ersten Performance, mit der man zumindest die Eltern provoziert.

WOLFGANG FLATZ: Mit fünf, sechs Jahren war das keine Provokation. Nach den Stoffhosen, die meine Mutter genäht hatte, war das die allererste Lederhose, und der Vater sagte: Damit kannst du dich jetzt überall hinsetzen. Für mich hieß das, egal wo. Natürlich gab es gleich ein paar Schellen.

Musste der kleine Wolfgang alles ausprobieren?

Kann schon sein. Ich war in der Schule immer der Kleinste, aber auch der Flinkste und der Mutigste. Wenn sich die anderen nicht mehr getraut haben, bin ich gesprungen. Nicht, weil ich provozieren wollte, sondern weil ich einen wahnsinnigen Minderwertigkeitskomplex hatte.

Mut spielt eine große Rolle in Ihrem Werk, auch Mutproben?

Mutproben habe ich keine gemacht, aber Grenzen ausgetestet, und wenn es ging, sie verschoben. Künstler sind die Einzigen, die Grenzen überschreiten und verschieben dürfen. In allen anderen Berufsfeldern wird man dafür sanktioniert. Beim Künstler ist es vielmehr eine Forderung, dass er an gesellschaftliche Grenzen geht.

Wenn man sich heute anschaut, wie Sie sich 1979 mit Dartpfeilen bewerfen ließen oder 1990 in Tiflis zwischen zwei Eisenplatten hängend hin- und hergeknallt sind, nimmt einen das richtig mit. Waren das solche Grenzen?

Für mich hat sich genauso die Frage nach den Grenzen der Kunst gestellt. Wie übertrete ich die? Das passiert meistens, indem man anderen zu nahe tritt. Ich habe vor nichts mehr Angst, außer, andere Menschen unnötig zu verletzen - mit meiner Schärfe, mit meiner Sprache, auch mit meinem Benehmen.

Der Künstler Flatz zeigt eine naturgetreue Nachbildung seines Körpers mit sämtlichen Tattoos - die Schriftzüge reichen von Adorno- oder Cicero-Zitaten bis zum Flatz-Wappen. Sie werden am Donnerstag versteigert, Christie's-Präsident Dirk Boll steht am Auktionspult.
Der Künstler Flatz zeigt eine naturgetreue Nachbildung seines Körpers mit sämtlichen Tattoos - die Schriftzüge reichen von Adorno- oder Cicero-Zitaten bis zum Flatz-Wappen. Sie werden am Donnerstag versteigert, Christie's-Präsident Dirk Boll steht am Auktionspult. © Felix Hörhager

Sie hätten bei der Darts-Performance wie der Heilige Sebastian enden können. Hatten Sie wirklich keine Angst vor einer gefährlichen Verletzung oder vor den Schmerzen?

Das Risiko habe ich in Kauf genommen. Bei vielleicht zehn von rund 50 Performances in meinem Leben war klar: Wenn irgendwas daneben geht, war das der letzte Auftritt. Ich gehe konzeptionell vor und denke mir alles minuziös bis zum Schluss aus. Als gelernter Goldschmied hat man einen Hang zur Präzision. Entscheidend sind drei Punkte: Schaffe ich es körperlich? Mental? Und ist die Arbeit so stark und tragfähig, dass ich in zehn Jahren sagen kann, es war richtig, sie zu machen? Dreimal ja hieß, machen und das größte Risiko einkalkulieren: den Tod.

In einem Gedicht schreiben Sie: "Ich war der Schmerzensmann am Rande des Lebens" - ist das der alte Topos vom Künstler, der für alle leidet?

Nein, Kunst muss nicht unbedingt laut und aggressiv sein. Das Subtile funktioniert genauso, denken Sie an Barnett Newmans "Who's Afraid of Red, Yellow and Blue”. Dieses überwiegend monochrom rote Bild ist schon dreimal attackiert worden. So etwas Einfaches kostet 100 Millionen! Da funktionieren beim Publikum ganz andere Mechanismen. Ich habe halt die Sprache gewählt, weil ich gemerkt habe, dass ich auch von starken Reizen getriggert werde, die bei andere allerdings noch viel mehr auslösen.

Was wäre das?

Die kleinen Schnittstellen, die zeigen, dass etwas in der Gesellschaft nicht stimmt. Die Oberfläche der Waren muss fast immer glatt poliert und perfekt sein wie bei einem Auto. Die Brüche zu finden, das weiter aufzubrechen und einen anderen Inhalt reinzubringen, das reizt mich.

Mit Tätowierungen ist man vor 50 Jahren richtig aufgefallen.

Ja, wahrscheinlich habe ich den Boom mitinitiiert, schon 1975 bekam ich mein erstes Tattoo. Noch lange bevor die Höhlenmalerei entstand, hatte es bereits die Körpermalerei gegeben. Warum? Um klar zu machen, wo man steht, welche Position man in einer Gruppe hat. Wer sich vor 50 Jahren tätowieren ließ, hat sich aus der Gesellschaft genommen. Nur Kriminelle, Gefangene und Seemänner ließen sich tätowieren. Halbwelt eben.

Jetzt sind es in 50 Jahren 13 Tattoos geworden, war's das?

Vor zwei Jahren kam mein letztes dazu - eines der größten und schwierigsten, das sich dezidiert mit dem Tod auseinandersetzt. Mors certa, hora incerta, der Tod ist gewiss, nicht die Stunde.

Diesen gut gekleidete Skelett hat Flatz 2018 in Palermo in der berühmten Kapuzinergruft abgelichtet. Für seine Serie "Palermo/Dandy".
Diesen gut gekleidete Skelett hat Flatz 2018 in Palermo in der berühmten Kapuzinergruft abgelichtet. Für seine Serie "Palermo/Dandy". © Flatz Foundation

Hat Ihr Unfall 2012 diese Auseinandersetzung befördert?

Auf dem Zebrastreifen über den Haufen gefahren zu werden, ist schon heftig. Es gab Freunde, die meinten, das sei meine größte Performance gewesen. Idioten! Eine Performance plant man. Ja, der Unfall hat mir die Endlichkeit wieder bewusst gemacht. Auch die Verletzlichkeit. Ohne dass du etwas dazu tust, kann von der einen auf die andere Sekunde alles vorbei sein.

Und jetzt tragen Sie Ihre Haut zu Markte - im wahren Wortsinn. Am Donnerstag kann man sich erst einmal eine Fotografie des entsprechenden Tattoos ersteigern, nach Ihrem Tod gibt es dann das "Original" auf der Haut. Graust es Ihnen nicht?

Moral und Ekel spielen in der Kunst keine Rolle, sondern nur beim Betrachter.

Höher kann man die Auktion kaum hängen: Dirk Boll, Vorstand bei Christie's, wird sie am Donnerstag durchführen. Wie hat sich das ergeben?

2013 hat mir Dirk Boll sein Buch "Das ABC der Kunstmärkte" geschickt. Und ich dachte mir, dann schicke ich ihm jetzt mein Konzept zur Versteigerung meiner Tattoos. Dann kam eine Mail zurück, er könne sich noch sehr gut an die Documenta 9 erinnern, ich sei der erste Künstler mit einem konzeptionellen Tattoo gewesen. Unter den 500 Praktikanten der Documenta war ausgerechnet er damals mein Fahrer. Was für ein Zufall! Als er hörte, dass ich in der Pinakothek der Moderne ausstelle, war er sofort dabei.

In Ihrem Werk spielen Männlichkeitssymbole wie Boxsäcke, Autos, Kraftmaschinen eine zentrale Rolle. Warum?

Weil man sich mit Gewalt und Aggression auseinandersetzen muss. Ich habe als Kind beides intensiv erfahren.

Ihr Vater war im Krieg?

Ja, aber er war nicht gewalttätig. Allerdings konnte er keine Emotionen zeigen, und da war auch keine Empathie. Zuckerbrot und Peitsche hieß sein Erziehungskonzept. Wenn alles okay war, gab's nix, wenn nicht, wurde man bestraft. Körperlich drakonisch. Das ist meine Prägung. Als Kind war ich extrem verschüchtert, hatte immer Angst vor dem Vater. Das hat sich erst gelöst, als ich mit dem Studium begann.

Sie haben aber zuerst Goldschmied gelernt?

Ja, und ich war in der Innungsgeschichte der Beste.

War der Schmuck zu klein im Format für Ihre Nachrichten?

Gar nicht, Schmuck beschäftigt sich ja auch mit Körper. Aber weil man sehr präzise sein muss und sich im Hundertstel-Millimeter-Bereich bewegt, habe ich für mich festgestellt, dass das Hirn genauso kleinkariert wird. Es ging nicht um Auffälligkeit.

Bei Ihrer ersten Aktion 1974 auf einer Brücke sind Sie auch gleich verhaftet worden. Auf einem Plakat bekannten Sie sich schuldig, einen schweren Unfall verursacht zu haben.

Das hat nicht im musealen Kontext stattgefunden und ist damals als Regelverletzungen rigoros abgestraft worden. Mir wurde mit der Psychiatrie gedroht. Aber damals gab es den Begriff Performance noch gar nicht, das wurde alles als wilder Aktionismus abgetan.

Jetzt sind Sie im geschützten Raum des Museums mit einer großen Retrospektive.

Und ich habe nach 50 Jahren ein Déjà-vu. Der Ausstellungstitel "Something Wrong With Physical Sculpture" bezieht sich auf die Arbeit, die mich nach einem Motorradunfall nackt mit den Krücken zeigt. Dieses Bild sollte auch aufs Plakat, das dann in U-Bahnen und sonst wo hängen wird. Absurd, aber das Plakat wurde abgelehnt. Ein Dienstleister zensiert Kunst? Im vorauseilenden Gehorsam. Wo leben wir denn?

Die Begründung?

Jugendschutz. Mit der Moral kann man inzwischen wieder viel begründen.

Der Künster Flatz (links) und die Schmuckkünstlerin Maja sitzen unter den Hüten der Künstlerin Fiona Bennett.
Der Künster Flatz (links) und die Schmuckkünstlerin Maja sitzen unter den Hüten der Künstlerin Fiona Bennett. © Felix Hörhager/dpa

Wie in Ihrer Anfangszeit. Kommt die Ausstellung zum richtigen Zeitpunkt?

Sie ist überfällig! Ich lebe seit 50 Jahren in München, wurde drei Mal zur Documenta geladen, es gibt in Dornbirn ein eigenes Flatz-Museum, ich stelle auf der ganzen Welt aus. Aber in 50 Jahren waren nur zwei Kulturreferenten bei mir: Jürgen Kolbe und jetzt Anton Biebl. Auch von den Münchner Museumsleuten bin ich - bis auf Bernhart Schwenk von der Pinakothek der Moderne - völlig ignoriert worden.

Der Prophet…

In Österreich geht es mir doch genauso. Aber jetzt holen sie mich zurück. Am 6. April inszeniere ich mein erstes Stück am Wiener Burgtheater. Dann erscheint ein Gedichtband bei Penguin. Meine Musik wird bei Sony neu aufgelegt, und Reiner Holzemer dreht eine Filmdoku über mich.

Der letzte Satz in einem Ihrer Gedichte lautet "Ich war der Beste. Der wollte ich immer sein". Echt jetzt?

Ich bin aber auch ein hoffnungsloser Romantiker.

"Flatz. Something Wrong with Physical Sculpture", Eröffnung und Benefizauktion der Tattoos am Donnerstag, ab 19 Uhr in der Pinakothek der Moderne

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