Feinsinnige Flügelschläge: Zum Tod von Rebecca Horn

Sie hatte sich in den letzten Jahren sehr zurückgezogen, und selbst zur Eröffnung ihrer umfassenden Retrospektive im Haus der Kunst konnte Rebecca Horn nicht kommen. Das war im April. Sie gab auch keine Interviews, ihr ginge es nicht gut, hieß es aus dem Umkreis – am Freitagabend ist diese bedeutende deutsche Künstlerin im Alter von 80 Jahren gestorben.
Horn, die mit den höchsten Preisen geehrt wurde, hat ein facettenreiches, vielschichtiges Werk geschaffen. Es umfasst sowohl Skulpturen, Installationen und Performances, als auch literarische Texte, Drehbücher und sogar Film- und Opernregie.
Berühmt wurde die gebürtige Hessin mit ihren magischen Kunstmaschinen, bei denen sie Objekte wie Koffer, Geigen oder Röhren in geheimnisvolle Bewegung versetzte. Zu den bekanntesten Arbeiten gehört der "Schildkrötenseufzerbaum", aus dessen Schalltrichtern klagende Töne dringen.
Rebecca Horn erweitert den Körper mit "Kunst-Prothesen"
Die Kaufmannstochter aus dem Odenwald war zwar für die Übernahme des Familienunternehmens vorgesehen, aber sie entschied sich für den härteren Weg an der männerdominierten Kunstakademie. Dass sie alsbald das Einhorn gab, war die feine feminine Spitze zum Einstieg in Hamburg und wurde schließlich zum Prinzip.
Rebecca Horn hat ihren Körper in schöner Regelmäßigkeit "erweitert": durch meterlange "Handschuhfinger", die man wie Müllzangen einsetzen kann, durch Flügel, wie sie der Schneider von Ulm für seine Flugversuche angelegt hat, durch Geflechte aus Plastikschläuchen, Federmasken oder eben ein überlanges "Einhorn" - geschaffen für Performances, die zuallererst die Wahrnehmung des eigenen Körpers befördern und das Frühwerk der Künstlerin bestimmen.

Irgendwann haben sich diese Zutaten verselbstständigt, dann tänzeln Spitzenschuhe an Drahtstangen, und man denkt sich die Ballerina unwillkürlich dazu. Die Motoren haben da längst schon ihren zentralen Platz gefunden, seit den 80ern gaben sie den Takt vor.
Die Fabrik ihrer Familie hat Horn zum Kunstzentrum umgebaut
Diese "Stellvertreter"-Apparaturen waren sicher nicht das Resultat einer Technikverliebtheit, sondern eher ein Spiel mit den Möglichkeiten, etwas auszulagern, zu beobachten, sich darüber klarer zu werden, ja vielleicht sogar die Flüchtigkeit der Existenz zu fassen.
1989 übernahm die scheue Künstlerin mit den roten Haaren eine Professur an der Berliner Hochschule der Künste. Seit 2007 baute sie die frühere Fabrik ihrer Familie im Odenwald zum Kunstzentrum aus. Das New Yorker Guggenheim Museum zeigte schon 1993 eine Retrospektive, die später durch Europa ging. Führende internationale Institutionen widmeten ihr Einzelausstellungen. 2010 wurde Horn mit dem japanischen Praemium Imperiale geehrt, einem der renommiertesten Kunstpreise der Welt. Mehr geht nicht.
Die "Rebecca Horn"-Schau im Haus der Kunst ist noch bis zum 13. Oktober 2024 zu sehen, am Tag zuvor findet ein öffentliches Symposium zu ihrem Lebenswerk statt.