Erfolg ist, wenn Elitäres und Nützliches zusammen kommen

Vor 40 Jahre hat Lothar Schirmer mit seinem damaligen Co einen Verlag gegründet. Der bewegt bis heute die Kunstwelt – ein Gespräch über Kassenhits, Erziehung und Erotik
Christa Sigg |
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Aus der Ferne wirkt er sehr entspannt. Ein Bonvivant eben, der tagein, tagaus von schönen Büchern umgeben ist. Erst im Gespräch spürt man, dass Lothar Schirmer bei aller Lässigkeit doch dauernd grübelt, immer auf der Suche nach Ideen, Titeln... Jedenfalls überrascht er seit 40 Jahren mit sehr besonderen Kunstbänden. Erfolgreich.

AZ: Herr Schirmer, zwei Ausstellungen, superbe neue Bände – Sie lassen’s zum Jubiläum richtig krachen.
LOTHAR SCHIRMER: Es ist ja wahrscheinlich das letzte Mal, dass ich’s so krachen lasse...

Also bitte, in zehn Jahren zum 50-Jährigen sind Sie dann 79, da geht noch was.
Das sagen Sie so. Aber man soll beizeiten feiern. Also werden die Münchner jetzt von Schirmers Dreifaltigkeit heimgesucht: Im Lenbachhaus ist Beuys, im Brandhorst Twombly und ab Mittwoch in der Pinakothek der Moderne August Sander, Jeff Wall und andere aus meiner Sammlung. Wenn Sie den Showroom am Hofgarten mit Cornelius Völker dazu nehmen, haben Sie sogar viermal Schirmer. Nicht wenig.

Auch die 1500 Titel in 40 Jahren Verlag sind unglaublich.
Im ersten Jahr war’s einer, dann zwei, vier, acht, 40... Als ich die Bibliografie zusammengestellt habe, war ich verblüfft.

Sie waren immer sehr offen.
Ja, das ging von den Künstlern und Fotografen über Themen wie Mode und Film bis zu den verschiedenen Kulturkreisen – der französische, britische... Unsere Bandbreite reicht von Leonardo da Vinci, historischen Aufnahmen deutscher Städte des 19. Jahrhunderts bis zu Anton Corbijn.

Das Prinzip?
Das Beste aus Deutschland in die Welt zu tragen, und das Beste aus der Welt nach Deutschland zu holen. Ein klassischer Kulturaustausch. Das Beste aus Deutschland waren Bernd und Hilla Becher, Beuys, Fassbinder, die Düsseldorfer Schule, Sander.

Eine Mischkalkulation?
Ja, wir haben immer Nützliches mit „Elitärem“ gemischt.

Ihre Verkaufsschlager?
Ganz klar Heinrich Zilles Fotografien von Berlin, der Porträtband von Helmut Newton und Isabella Rosselinis „Some of Me“. Damit haben wir so viel Geld verdient, dass wir gleich darauf den Showroom eröffnen konnten.

Eigentlich eine schöne Kombination: Sammeln, zeigen und Kunstbücher machen.
Ja, das ist der Reiz des Tauschs: Man bekommt die volle Information und gibt dafür die Bücher. Als Kunsthändler sehen Sie nur, was der Künstler zeigen möchte. Aber ein Buch soll ja etwas Umfassendes, Bleibendes sein.

Durch welche Künstler wurden Sie aufgerüttelt?
Am schöpferischsten war’s mit den Bechers, Cy Twombly und Joseph Beuys.

Und mit wem hat’s überhaupt nicht funktioniert?
Nach fünf anstrengenden Jahren des Bemühens ist ein Buch mit Tilda Swinton gescheitert. Die ist schwierig.

Nun braucht Tilda keine Publicity mehr. Aber Sie haben einige Künstler beim Bekanntwerden unterstützt.
Beuys und Twombly sowieso, da haben wir von Anfang an so getan, als seien das Weltmeister. Und dann natürlich viele Junge, von Laurenz Berges bis zu Candida Höfer. Wir waren immer wagemutig.

Ihr bestes Buch?
Das mit den Zeichnungen von Antonin Artaud! Jacques Derrida hatte den Text geschrieben. Das ist eins der schönsten Bücher überhaupt. Unglaublich aufwendig.

Und wie geht ein Derrida an die Angel?
Der hat das nur gemacht, weil es ihn selber interessiert hat. Aber natürlich war das teuer.

Kommt das je wieder rein?
Doch, wir hatten eine deutsche, französische und amerikanische Ausgabe mit 12.000 Stück.

Sie sind ein guter Kaufmann.
Jedenfalls als ich jung war. Mit dem Alter wird man milde, man kann nichts mitnehmen.

Im Prinzip sind Sie doch auch ein Kunstpädagoge.
Ich sage immer, die ästhetische Ausbildung des Menschengeschlechts darf man nicht dem öffentlichen Dienst und die Erotik nicht der Konkurrenz überlassen.

Auf welchen Erotik-Band spielen Sie an?
Helmut Newton kam 1978 zu uns, weil er das Zille-Buch gesehen hatte und merkte, dass wir die Fotografie wirklich ernst nehmen. Damals waren wir ja nur zu viert: Mosel und ich, eine Sekretärin und eine Studentin, die Rechnungen schrieb. Als wir mit Newton ankamen, wurde die damals sehr feministische Studentin sehr böse und verlangte ein Gespräch. Aber Newton konnten wir nicht der Konkurrenz überlassen! Wir haben ihr hoch und heilig versprochen, das Newton-Niveau nicht mehr zu unterschreiten. Das haben wir gehalten. Und die Frau ist geblieben – bis heute.

Konnten Sie in den Anfangsjahren vom Verlag leben?
Erik Mosel war ein erfolgreicher Werbegrafiker, und ich habe sehr sparsam gelebt.

Wie ein Asket sehen Sie gar nicht aus. Eher so, als sei das alles sehr vergnüglich.
Meine Arbeit ist enorm. Aber sie findet oft nachts statt, im Kopf. Ich habe keine Familie und kann arbeiten, wann immer mir danach ist – und schlafen auch.

Gab’s trotzdem Situationen, wo Sie mit dem Verlag am liebsten aufgehört hätten?
Dauernd. Am Anfang hab ich’s gemacht, weil ich nichts davon verstanden habe. Das war eine autodidaktische Übung. Ich dachte, fünf Jahre, dann kommt was anderes. Und jetzt muss ich es machen, weil ich nichts anderes mehr kann.

Warum geht einer aus dem kunstsinnigen, eher offenen Rheinland ins konservative München.
Ganz einfach, ich wollte nach dem Studium in Köln die Stadt wechseln und hatte bei Droemer Knaur einen Job gefunden. Deren Monroe-Mailer- Buch war gleich die Einstiegsdroge. Marilyn hat alle interessiert, Norman Mailers Text keinen. Das war für mich der Anstoß, mit der Fotografie etwas zu machen. Marilyn war dann die erste Diva des Hauses.

Sie stellen Fotografie in der Pinakothek der Moderne aus. Dürfen sich die Staatsgemäldesammlungen auch sonst freuen?
Ich will es nicht ausschließen. Ich lese zur Zeit „King Lear“, der  zu früh, zu viel verschenkt. Sagen wir’s so: Ich würde mir sehr wünschen, wenn das alles zusammen bliebe und nicht bei Sotheby’s oder Christie’s verhackt würde. Nun weiß ich auch, dass die Sammlung etwas zu breit angelegt ist, als dass eine Institution sich für alle Segmente interessieren könnte.

Bauen Sie einen Nachfolger auf?
Das werde ich wohl müssen. Ich habe ja eine Stieftochter aus einem gschlamperten Verhältnis, wie man in Bayern sagt. Die könnte das vielleicht machen. Aber sie hat zwei kleine Kinder. Ach was, jeder könnte das machen. Nur nicht so wie ich! Nein der müsste das wirklich nach eigenen Vorstellungen und Kräften machen.

Aber eine große Affinität zur Kunst ist schon auch Voraussetzung.
Stimmt. Aber man weiß ja heute gar nicht, ob man jemandem raten sollte, seine Existenz auf Büchern aufzubauen.Hugendubel lässt grüßen.

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