Die Villa Stuck würdigt Kafka
"Kafka: 1924":
Der Verriss: "Zunächst war Franz Kafka als Vorleser ein recht ungenügender Übermittler. Wenig glücklich war er auch in der Auswahl des Gebotenen. Als wenig günstige Probe eigenen Schaffens las er die Groteske ,In der Strafkolonie'. Der Stoff hätte knapper behandelt werden können." Als Franz Kafka im November 1916 in der Galerie Goltz eine seiner raren öffentlichen Lesungen hielt, fiel er in der uninspirierten Besprechung der "Münchner Neuesten Nachrichten" völlig durch. Nur in der brieflichen Schilderung des Abends für seine Freundin Felice Bauer war er ein noch gnadenloserer Kritiker seiner selbst.
Franz Kafka (1883-1924) hadert in seinem Werk mit der körperlichen und seelischen Bedingtheit, den äußeren Zwängen und dem grundsätzlichen Ausgeliefertsein der menschlichen Existenz. Der Versicherungsangestellte und posthume Jahrhundertschriftsteller, der neben Jura auch ein Semester Kunstgeschichte studierte und selbst zeichnete, bringt diese Grundsituation um 1905 in seinem "Selbstporträt als Nachtwandler", der ungelenk über ein Dach spaziert, karikaturesk auf den Punkt. Sie steht am Anfang der umfangreichen Ausstellung "Kafka: 1924" in der Villa Stuck.
Dort sind, vorab zum 100. Todestag des Dichters im kommenden Jahr, Arbeiten von 35 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, die kafkaeske Themen behandeln. Kuratorin Helena Pereña hat die dichte, suggestive Schau als labyrinthischen Parcours durchs ganze Haus angelegt. Dieser beginnt im Neuen Atelier mit einer Kafka-Hommage von Jeff Wall. Im großformatigen Foto-Leuchtkasten von 1994 inszeniert er einen Treppenaufgang, wie er im Text "Der Landarzt" vorkommt. Dort haust das "Odradek", ein Zwitter zwischen Lebewesen und Ding, das Wall auch nachbaut.
Obsessiver Blick ins Innere
Unvollkommenheit und Versehrtheit des menschlichen Körpers werden dann in Berlinde de Bruyckeres deformiertem Jünglingstorso "Robin V." spürbar. Und Harald Szeemann ließ einst den Höllen-Apparat nachbauen, den Kafka in "In der Strafkolonie" beschreibt: Ein Foltergerät, das den Delinquenten ihre Vergehen Buchstaben für Buchstaben in den Rücken tätowiert.
Noch schrecklicher ist nur die "Killing Machine" von Cardiff & Miller - eine dröhnende Todes-Klimax. Kafkas obsessiven Blick ins Innerste kann man mit Mona Hatoums "Deep Throat" metaphorisch nachvollziehen, dem im Teller am gedeckten Tisch installierten Video einer Darmspiegelung. Und an der Serie schmerzhafter Körperzeichnungen "Mercy Hospital" der vor kurzem verstorbenen Ida Applebroog.
Eingesponnen in einen Kokon
Hubbard & Birchler bauten Gregor Samsas Zimmer nach und filmten die verschiedenen Stadien der Verwandlung - des Raumes. Für die Entsorgung alles Schmutzigen, im trauten Heim Unerwünschten gibt es Robert Gobers überdimensionierten "Drain" (Ausguss).
Von fragilen Identitäten kündet Germaine Richiers hybrides Bronze-Insekt, nur Louise Bourgeois' Ode an ihre Mutter "Pour Maman" passt hier nicht ganz. Die Spinne ist bei ihr doch eher positiv fürsorglich besetzt - und nicht autoritär bedrohlich wie etwa Kafkas Vater.
Chiharu Shiota hat einen ganzen Raum mit schwarzem Faden eingesponnen wie einen Kokon, der Insasse ist darin geborgen und gefangen zugleich. Das schwarze Loch der Bürokratie, in dem man verloren gehen kann, offenbart unter anderem Margot Pilz' Dokumentation ihrer eigenen Verhaftung, und in David Claerbouts minimalistisch-subtiler Bewegtbildinstallation "Shadow Piece" kommen die Leute ins Amt gar nicht erst hinein - nur ihre Schatten.
Schwappen über den Rand
Mit Verhörsituationen und -techniken wiederum setzen sich David Rych und Franz Wanner filmisch auseinander: Rych lässt Befragungen von Geflüchteten durch die Asylbehörden nachspielen und die Betrachtenden daran mittels VR-Brille in verschiedenen Rollen teilnehmen. Wanner zeigt die gängige Praktik des BND, von den Asylsuchenden Informationen zu erpressen mit der Aussicht auf ein beschleunigtes Aufenthaltsverfahren.
Nur am Ende schwappt die vielschichtige Schau ein wenig über den Rand: Sebastian Jungs überbordende Kafka-Echokammer bietet zwar kuriose und tiefschürfende Entdeckungen, nimmt aber im Verhältnis zu den anderen Beteiligten zu viel Raum ein: "Der Stoff hätte knapper behandelt werden können."
Villa Stuck, bis 11. Februar, Di - So 11 bis 18, jeden ersten Freitag bis 22 Uhr (abends Eintritt frei)
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