Der Chef der Uffizien

Zweimal hat die Assistentin schon angerufen – der nächste Termin stehe an. Doch Halbheiten sind Eike Schmidts Sache nicht, wenn es etwas zu klären gibt, dann sofort. Das haben seine Mitarbeiter an den Uffizien schnell überrissen, als „il tedesco“, der Deutsche, 2015 angetreten ist, eines der bedeutendsten Museen der Welt umzukrempeln. Die Veränderungen sind jetzt schon sichtbar, der Eintritt besser geregelt, im Inneren Ikonen wie Botticellis „Geburt der Venus“ besser präsentiert. Und Schmidt verblüfft mit neuen Ausstellungen wie der großen Fritz-Koenig-Retrospektive.
AZ: Herr Schmidt, wie kommt Fritz Koenig an in Florenz?
EIKE SCHMIDT: Sehr gut! Sämtliche großen Zeitungen in Italien und auch die regionalen haben die Ausstellung durchweg positiv besprochen. Für einen nicht italienischen Künstler ist das keineswegs selbstverständlich.
Und die Besucher?
Die reagieren zum Teil ganz begeistert und sind überrascht. Ich werde oft gefragt, warum man diesen tollen Künstler nicht besser kenne. Bei den Amerikanern ist es wieder anders, die verbinden Koenig seit dem 11. September mit „The Sphere“. Gerade im Raum mit dem Kugel-Modell und Percy Adlons Filmen rund um dieses Kunstwerk halten sich die Besucher besonders lange auf. Und dann interessieren auch die Entwürfe für die Holocaust-Gedenkstätten, das öffnet vielen nochmal eine neue Perspektive.
Wann sind Sie eigentlich auf Koenig aufmerksam geworden?
Peter Anselm Riedl, mein akademischer Lehrer in Heidelberg, hat ihn immer in seine Vorlesungen eingebaut. Insofern war ich mit diesem Werk von Anfang an vertraut und habe versucht, möglichst vieles im Original zu sehen. Mein Besuch auf dem Ganslberg 2009 war dann das Nonplusultra.
Wie haben Sie den Meister erlebt?
Ich bin natürlich gewarnt worden, Koenig konnte ja ziemlich harsch sein, um es mal freundlich auszudrücken. Hinterher sagten mir dann verschiedene Leute, sie hätten ihn lange nicht mehr in so guter Laune erlebt. Koenig hat mir seine Afrika-Sammlung gezeigt, meine Hand genommen und über die Skulpturen geführt, um mir zu erklären, worauf es ihm ankommt. Das blieb mir immer in Erinnerung. Als sich dann die Möglichkeit zur Ausstellung ergab, musste ich mich natürlich fragen, ob das nicht mit einer persönlichen Vorliebe zu tun hat und wirklich in die Uffizien passt.
Und?
Mir war sofort klar, dass das hier funktionieren würde. Koenig hatte ein ganz enges Verhältnis zu frühen archaischen Kunstformen, also nicht nur zur afrikanischen, sondern genauso zur etruskischen und antiken Kunst, die wir hier präsentieren. Und zur Renaissance. Denken Sie an den Florentiner Architekten und Bildhauer Filippo Brunelleschi, er ist für mich der Vater des Minimalismus. Ohne Brunelleschi gäbe es kein Bauhaus. Koenigs einfache, auf ein Minimum reduzierte Körper entsprechen im Grunde dem metrischen Ideal der italienischen Renaissance. Da ist nichts zu viel und nichts zu wenig.
Aber Koenig musste erst sterben, um mit einer großen Ausstellung gewürdigt zu werden.
Er wollte das nicht, dabei hat er sich damit selbst keinen Gefallen getan. Er ist ein ganz Großer, ich kann das nur immer wieder betonen.
Warum tut man sich in Deutschland so schwer mit Fritz Koenig?
Das hat auch damit zu tun, dass er auf dem Kunstmarkt nie sonderlich präsent war. Solche Leute werden häufig auch kunsthistorisch als von sekundärer Bedeutung angesehen – und dann nach Jahrzehnten endlich wiederentdeckt. In den 90er Jahren haben sich etwa die Engländer plötzlich für die Bildhauer der unmittelbaren Nachkriegszeit interessiert. Dazu gehört etwa Barbara Hepworth. Kunsthistoriker und Sammler sahen, dass sie auf dem gleichen Niveau gearbeitet hat wie der omnipräsente Superstar Henry Moore. Hepworths Skulpturen sind inzwischen in jedem Auktionshaus und auf jeder Kunstmesse heiße Ware. Das ist bei der deutschen Kunst der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht der Fall, auch wenn einzelne Figuren auf dem internationalen Kunstmarkt stark präsent sind. Aber man darf die Teilung des Landes nicht vergessen.
Koenig ist doch ein schönes Beispiel, wie man mit Skulptur den öffentlichen Raum bespielen kann. Da nimmt er eine Tradition auf, die in Florenz ganz selbstverständlich ist, während in Deutschland vieles als Zwangs-Kunst am Bau vor sich hindümpelt.
Da kann ich Ihnen leider nicht widersprechen. Allerdings war das Kunst-am-Bau-Programm für viele Künstler sehr wichtig, um nach dem Krieg überhaupt an Aufträge zu kommen. In Kunst hätte beim Wiederaufbau kaum jemand investiert. Auf der anderen Seite ist die Architektur vieler dieser Bauten nicht auf der gleichen Höhe wie die Skulptur, die dann auch häufig nicht wie geplant platziert wird. Außerdem verändert sich die Welt um diese Bauten herum. Was einmal auf einer schönen grünen Wiese stand und atmen konnte, hat heute nicht selten eine stark befahrene Straße vor sich oder ist eingezwängt zwischen andere Bauten.
Sie sind 2015 als erster Nicht-Italiener Direktor der Uffizien geworden. Das wurde nicht immer freundlich kommentiert.
In den italienischen Medien waren die Reaktionen anfangs vielfach negativ. Im persönlichen Umgang habe ich dagegen keinerlei Ablehnung erlebt. Schon gar nicht in den Uffizien selbst. Unter den Museumsmitarbeitern war die Frustration beträchtlich, weil viele Probleme über Jahre und Jahrzehnte nicht gelöst, sondern einfach nur weitergeschoben wurden.
Wie geht man einen solchen Berg an Versäumnissen an?
Wir haben die internen Strukturen völlig verändert. Jetzt sind die leitenden Positionen mit kreativen, engagierten Mitarbeitern besetzt, die zum Teil schon ewig am Haus arbeiten, sich aber nie entsprechend ihrer Fähigkeiten einbringen konnten. Sie genießen übrigens das Vertrauen der Kollegen, das ist ganz entscheidend.
Auch von außen sehen Ihre Häuser wieder deutlich besser aus.
Da haben wir auch viel Geld ausgeben, einmal für die Reinigung, und dann sind Dutzende lockerer Steine restauriert und befestigt worden. Seit dem Zweiten Weltkrieg war da gar nichts passiert. Der Palazzo Pitti strahlt jetzt und ist für die Besucher wieder sicher.
Warum sind diese wichtigen Museen so sehr vernachlässigt worden?
Weil es irgendwo in Italien immer dringendere Sanierungfälle gab, auf die man in Rom reagiert hat. Da war also viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Der zweite Bereich, in den ich viel Geld investiere, ist das Personal. Wir können als staatliche Institution unsere Mitarbeiter nicht selbst auswählen – das geschieht in Rom. Statt eines dringend benötigten Textilrestaurators kommt dann zum Beispiel einer für Malerei, weil der durch Dienstjahre, Gewerkschaft und so weiter im Bewerbungsverfahren vorn liegt. Die spezielle Qualifikation spielt keine Rolle. Deshalb hat das Kulturministerium im Zuge der Reformen eine Firma gegründet, durch die jedes Museum auf eigene Kosten ganz gezielt die passenden Leute einstellen kann. Das betrifft allerdings nicht den Bereich der Beamten, da läuft alles wie bisher. Aber diese neue Firma ist ein Segen.
Wieviele Mitarbeiter sind neu?
Fast 100 junge Leute, also rund 20 Prozent unseres Personals. In einem Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit um die 30 Prozent ist das fantastisch.
Museen, die von Touristen überflutet werden, stehen nicht unter Erfolgsdruck. Das ist eine Art Freischein, die Hände in den Schoß zu legen.
Das geht aber nie gut aus, auch wenn man wie wir fast vier Millionen Besucher im Jahr hat. Um ein Museum lebendig zu halten, sind Sonderausstellungen – inzwischen haben wir über 20 im Jahr – und kulturelle Angebote wie Konzerte ganz wichtig. Auch die Museumspädagogik ist hier viel zu kurz gekommen. Dabei waren Florenz und Mailand in den 70er Jahren die Vorreiter. Doch seit den 80er Jahren wurden die Mittel immer weiter gekürzt. Als ich hier ankam, gab es drei Leute, die für die Vermittlung zuständig waren. Wir hatten an den Uffizien noch nicht einmal eine Webseite. Jetzt kümmert sich eine Abteilung mit 30 Festangestellten plus Freien um die Besucherprogramme, um Social Media und vieles mehr.
Wie haben Sie die Politiker und Mitarbeiter überzeugt?
Mit Offenheit. Und ich habe mich nie einer Gruppe oder Partei angeschlossen. Das mag in Italien zunächst ein Nachteil sein, aber man wäre dann auch bestimmten Interessen verpflichtet. Insofern war es ein Vorteil, dass ich von außen kam und immer unabhängig geblieben bin.
In einem guten Jahr wechseln Sie ans Kunsthistorische Museum in Wien. Gibt es doch zu viele Hürden?
Aber nein, Wien ist jetzt zum elften Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden und kulturell einfach unschlagbar. Ich interessiere mich ja auch für die Musik und Theater. In einer lebendigen kulturellen Szene mit Tanz, Literatur, egal was, kann man sich gerade für die Arbeit im Museum viele Inspirationen holen. Wir hatten kürzlich in den Uffizien einen Tänzer, der die nackten Figuren von Michelangelos Tondo Doni interpretiert hat – vollkommen nackt natürlich. Dieser Mann studierte monatelang die Posen und entwickelte dann eine Choreografie, in der sogar die Körper-Komposition bei Michelangelo umgesetzt war. Das Museumspublikum war völlig begeistert, aber so einen Tänzer entdeckt man nur beim Blick über den Tellerrand.
Sie sind gleich nach dem Studium Anfang der 90er Jahre nach Italien gegangen, dann in die USA, nach London und wieder in die USA. Hatten Sie nie Lust in Deutschland zu arbeiten, oder ist Ihnen das zu eng geworden?
Das hat sich einfach so ergeben, und der Kontakt nach Deutschland ging ja nie verloren. Außerdem bin ich jetzt Honorarprofessor an der Humboldt-Universität geworden, also werde ich auch regelmäßig in Berlin sein.